Jakob Hein: „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“

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Jakob Heins kleiner Roman ist eine herrlich-witzige Satire auf das Verhältnis von DDR und BRD zu Beginn der 1980er Jahre. Hein erfindet eine absurd-komische Geschichte, wie der Milliardenkredit für die DDR zustande kam, den Franz-Joseph Strauß 1983 mit dem DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski ausgehandelt hat. Bis heute ist rätselhaft, was Strauß zu dieser Aktion, vorbei an dem  damaligen Außenminister Genscher und dem damaligen Finanzminister Stoltenberg, bewogen haben mag. Nur Bundeskanzler Kohl war eingeweiht. Man geht davon aus, dass Strauß die DDR wirtschaftlich durch den Kredit abhängig und damit langfristig destabilisieren wollte; möglicherweise sei er auch von Schalck-Golodkowski bestochen worden. Das Ergebnis für die BRD war der Abbau der Selbstschussanlagen an der Grenze von der DDR zur BRD, die Abschaffung des Mindestumtauschs für Jugendliche, Erleichterung von Ausreise und Familienzusammenführung sowie weniger schikanöse Grenzabfertigungen an der deutsch-deutschen Grenze.

Jakob Hein lässt einen jungen, ehrgeizigen Mann, der neu in dem Büro der Planungskommission „Afghanistan“ ist, aus Langeweile – er hat einfach nichts zu tun – einen verrückten Plan für die Devisenbeschaffung entwickeln. Die DDR könnte vom „Bruderstaat“ Afghanistan preiswert Medizinalhanf einkaufen und in einem Afghanistan-Laden am Grenzübergang Invalidenstraße, der nur für Westberliner geöffnet ist, in 10-Gramm-Päckchen an Hippies aus Westberlin verkaufen, natürlich nur gegen harte Westmark.

Die Idee kommt in der Planungskommission gut an, und der Plan wird in die Tat umgesetzt. Nach Anfangsschwierigkeiten läuft das Geschäft hervorragend, bis es aus dem Ruder läuft und schließlich DDR-Studenten der Humboldt-Universität  mit einem West-Berliner kiffen. Das kann nun gar nicht sein, dass die dekadente West-Jugend die kraftvolle DDR-Jugend verführt. Also wird der Kiosk auf Anweisung von ganz oben geschlossen. Das aber führt zu chaotischen Verhältnissen auf der West-Berliner Seite.

Nun beginnen eilige, hoch geheime diplomatische Aktivitäten von hüben nach drüben. Jetzt bekommen beide Seiten von Jakob Hein ihr Fett weg. Langeweile und Untätigkeit herrschen auch im Westdeutschen Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Die Beamten sitzen auf ihren gut dotierten Posten und tun eigentlich nichts. Erst durch die Cannabis-Aktion der DDR werden sie aufgescheucht, droht die DDR doch, Westdeutschland geradezu mit Cannabis zu überschwemmen.

Herrlich, wie Hein die Damen und Herren beim Treffen in Bayern über das üppige Essen und den Alkohol herfallen lässt. Beide Seiten versuchen sich gegenseitig auszutricksen, aber den eigentlich kühlen Kopf hat auch auf der Westseite die Jugend, d.h. eine Referendarin, die ebenfalls aus Langeweile nötige Informationen beschafft, etwa indem sie einfach einen Anruf tätigt, auf den die Herren nicht gekommen sind.

Am Ende steht dann der Milliarden-Deal, mit dem die Ostler höchst zufrieden in ihrer gepanzerten Limousine wieder nach Hause fahren.

Das ganze ist bissig und gleichzeitig sehr amüsant zu lesen, wenn einem auch das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn hier werden auf beiden Seiten Prinzipien und politische Überzeugungen auf zynische Weise für den Mammon verraten. Die Ostler glauben selbst nicht mehr an den Erfolg der sozialistischen Gesellschaft, sie brauchen einfach Geld, um das System zu stützen, und dafür kann man gerne mit dem Klassenfeind Geschäfte machen. Hauptsache der Rubel rollt.

Dagegen gerieren sich die Vertreter des Westens als diejenigen, für die Geld keine Rolle spielt. Man kann eben alles kaufen, auch den Osten. Da können einem schon mal die besten politischen Überzeugungen  flöten gehen.

Darüber hinaus gibt es noch etwas Geplänkel in Liebesdingen. Auch hier kommt es zu überraschenden Wendungen, denn Ostfrau kann ihre Neigung zu Westfrau entdecken und den Ausbruch aus dem verordneten Weg mit Heirat und Familie planen, obwohl doch eigentlich im Sozialismus nicht sein kann, was nicht sein darf. Weg wollen sie eigentlich alle, nur Unannehmlichkeiten für die Familie hält den einen oder anderen zurück. Aber man kann sich jedenfalls darüber verständigen, wenn auch nur in indirekten Andeutungen, die jedoch jeder versteht.

Insgesamt ist das ein unterhaltsamer und kurzweiliger Roman, der sich leicht an zwei Abenden lesen lässt. Insbesondere wegen der politischen Implikationen lohnt sich die Lektüre.

Jakob Hein, Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste. Galiani Verlag, 225 Seiten, 23 Euro.

Elke Trost

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