Die Handlung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ besteht aus drei Ebenen: der vordergründigen Liebesgeschichte um die beiden jungen Paare, dem Elfenreich um Oberon und Puck sowie der schauspielernden Handwerkertruppe. In letzterer hat Shakespeare in selbstreferentieller Ironie das eigene Metier aufs Korn genommen.

In der Inszenierung des Schauspiels Frankfurt hat die Regisseurin Christina Tscharyiski die Wichtungen der einzelnen Ebenen durch eine fast unmerkliche Verschiebung der Szenen deutlich geändert. Am Beginn des Stücks steht nun das Zusammentreffen der Handwerker zwecks einer Probe von Ovids „Pyramus und Thisbe“, das sie am herzoglichen Hof aufführen wollen. Während die Handwerkertruppe im Original in die Handlung um die beiden Liebespaare integriert wird, bildet sie hier selbst den Rahmen. Das zeigt sich in den Kostümen, die nicht typische Handwerker, sondern heutige Durchschnittsbürger vom Chauffeur über einen Koch bis hin zu einer Reinigungskraft zeigen. Die durchweg weiße, teilweise gelackte Kleidung verweist auf eine innere Distanz, wie sie Schauspieler gegenüber ihrem Stoff per definitionem bewahren (müssen).
Dadurch nimmt diese Inszenierung in gewisser Weise die Perspektive der Darsteller ein, die sich ihrem Stoff mit viel Phantasie nähern. Damit lässt sich auch die verwirrende Liebesgeschichte und die Manipulationen des eigenmächtigen Puck als Vorstellungen der Schauspieler deuten, die ihre Rollen natürlich mit viel Bedeutung aufladen wollen. Als Nebeneffekt verliert diese Handlung etwas von ihrer romantisch anmutenden Irrationalität und mutiert zu einer impliziten Aussage über das Theater an sich. Die Stücke entstehen auf der Bühne durch die Kraft und Kreativität der Darsteller und sind keine auktoriale Vorgabe eines noch so berühmten Autors. Christina Tscharyiski feiert mit ihrer Inszenierung also nicht Shakespeare, sondern alle ihre Kollegen auf den Bühnen der Welt, die erst die Handlung zum Leben erwecken.
Das zeigt sich auch im Bühnenbild, das zu Beginn aus nichts als einer schwarz ausgelegten Bühne besteht, die schauspielernden Handwerker also vollständig auf ihrer Kreativität zurückwirft. Erst ihre Phantasie erschafft dann das Bühnenbild der eigentlichen Handlung, die zwar nichts mit „Pyramus und Thisbe“ zu tun hat, aber der gute Zettel (Christoph Pütthoff) zeigt ja in seiner wortreichen Selbstdarstellung zu Genüge, über welche Vorstellungskraft leidenschaftliche Schauspieler verfügen können.
Nach dem kurzen Zwischenspiel um die auszurichtende Hochzeit zwischen Hermia (Rokhi Müller) und Demetrius (Miguel Klein Medina) wandelt sich dann das Bühnenbild schlagartig in eine weinrote Schlingpflanzenlandschaft, in denen Oberon (Isaak Dentler) und Titania (Anna Kubin) sowie ihre Elfen in gleichroten, wie Tarnung wirkenden Kostümen entspannt herumturnen. Diese von hinten angeleuchtete rote Pflanzenwelt schafft tatsächlich eine traumartige Atmosphäre, in der sich die jungen Leute auch vollständig verlieren.
Dabei hilft dann jedoch Puck in einer Art Selbstermächtigung hinaus kräftig mit. Annie Nowak spielt ihn in einer Art Chimärenkostüm mit einer nicht zu unterdrückenden Lust an der Manipulation und Verdrehung und steht damit ebenfalls für die grundlegende Motivation der Schauspielerei: Vortäuschung und Schaffung einer zweiten Realität, die mit der vorgefundenen nichts zu tun hat. So wie Puck Demetrius und Lysander verzaubert, so entführen gute Schauspieler das Publikum auch in eine nicht existierende – aber mögliche – Welt.
Diese Verwirrungen werden dann von den vier jungen Leuten auch mit viel Gespür für den Kontrollverlust durchgespielt. Die angeblich athenischen Kostüme, auf die der Text des Öfteren verweist, bestehen hier aus einer Art Schulkleidung in Rosa, wobei die Geschlechter nicht unterschieden sind. Das kann man durchaus als einen ironischen Verweis auf heutige Gender-Diskussionen verstehen, ohne dass dieser näher ausgeführt würde. Demetrius entdeckt dank Puck spät seine Liebe zu Helena, der Tanja Merlin Graf mit einigem Augenzwinkern die liebesverzweifelten Züge einer verschmähten Liebenden verleiht, und Mitja Over darf nach einigem Hin und Her und einem längeren Ringkampf mit Demetrius doch seine Hermia in die Arme schließen. Doch diese irrlichternden Szenen im roten Wald sind nur Dekoration einer Handlung, die sich eigentlich in den Köpfen der Darsteller – hier die Handwerker – als Phantasie abspielt, so zumindest die interpretation dieser Inszenierung. Auch die seltsamen steifen Figuren der Elterngeneration wirken in ihrer weißen Statuskleidung und den hölzernen Bewegungen eher als Vorstellungen denn als echte Personen.
Doch diese Wirkung ist von der Regisseurin offensichtlich beabsichtigt, denn auch sie stand bei der „soundsovielten“ Inszenierung dieses Stückes vor der Frage, was man ihm an neuen Erkenntnissen abgewinnen könnte. Nur wieder einmal dieses Stück aufführen, reicht nicht: es muss eine neue Sicht hinzukommen; und das hat sie mit der Aufwertung des Handwerker-Theaters und damit der Hinwendung zu dem Schauspielwesen an sich geschafft. Als Zuschauer sieht man das Stück aus der Perspektive der Darsteller und erkennt plötzlich, dass nicht der Text, sondern die Präsentation über die Wirkung entscheidet.
Das Publikum empfand das offensichtlich ebenso und spendete kräftigen Applaus.
Frank Raudszus
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