Levent Tezcan: „Alles Rassismus?“

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Der Autor dieses Buches, Professor der Soziologie in Konstanz, stammt selbst aus einer türkischen Familie, hat aber die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Diese Tatsache ist insofern wichtig, als er sie selbst als Beleg für eigene Erfahrungen anführt und seine Sicht als „Mensch mit Migrationshintergrund“ mehrfach explizit einbringt.

Gegenstand des Buches mit dem Untertitel „Ressentiments der Einwanderungsgesellschaft“ sind die seit Jahren zu beobachtenden Versuche vor allem linker Gruppen, den westlichen Gesellschaften einen permanenten, ja: strukturellen Rassismus und entsprechende Diskriminierungen vorzuwerfen. Tezcan geht die Analyse dieses weitgespannten Vorwurfs systematisch an, indem er erst einmal den Begriff der Zugehörigkeit untersucht. Die gängige Rassismuskritik verwarf die früher übliche Unterscheidung in (Nicht-)“Ausländer“ wegen seiner fehlenden eindeutigen Polarisierung ebenso wie den „Migranten“ zugunsten „Weiß/Nicht-Weiß)“. Da bereits die Altlinke den westlichen Kapitalismus als Feindbild aufgebaut hatte, konnte man diese Konfliktlinien mit dem Bezug auf die Hautfarbe nahtlos fortsetzen, denn die Mehrheitsgesellschaft – sprich: der dominante Teil – im Westen setzt sich aus eben diesen Weißen zusammen. Außerdem konnte man mit dieser Begrifflichkeit sowohl innerstaatliche als auch globale Konfliktlinien widerspruchsfrei aufbauen. Tezcan weist schon hier auf das Paradox hin, dass ausgerechnet die Fraktion, die eine – natürlich negative – Betonung der Hautfarbe beklagt, diese nun als klar trennende Definition einführt und die Welt danach in Täter und Opfer einteilt. In diesem Zusammenhang sieht er die türkische „Ethnie“ als hautfarbenfrei, da einerseits die Türken zwar eher zu den „Weißen“ gerechnet werden, andererseits in Gestalt der eingewanderten Türken zu den „Opfern“ zählen. Da außerdem, wie Tezcan anmerkt, die Muslims sich selten als ausgegrenzte Opfer sehen, passen sie auch in dieser Hinsicht nicht in das Freund-Feind-Bild. also werden sie ausgespart, als seien sie nicht-existent.

International wird der „globale Süden“ als Opfer eines rassistischen „weißen Westens“ gesehen. Teczcan sieht darin aufgrund der Kolonialgeschichte durchaus eine nachvollziehbare Bezeichnung, vermisst aber die Behandlung von Phänomenen wie Korruption, Diktatur und Repression in diesem Kulturkreis. Deren Einbeziehung würde die klare Trennung in Täter und Opfer nur konterkarieren.

Im zweiten Kapitel behandelt er die Affekte, die er in einer Einwanderungsgesellschaft für natürlich hält, da dort unterschiedliche Lebensbilder aufeinandertreffen. Das betrifft die Kleidung (Kopftuch), das Frauenbild (dto) und die Religion (Fundamentalismus). Konflikte sind laut Tezcan unvermeidbar und müssen offen aber fair ausgetragen werden, statt sie à priori als Zeichen des Rassismus zu werten. In diesem Zusammenhang arbeitet er auch den Unterschied zwischen der (offenen) Gesellschaft) und der (geschlossenen) Gemeinschaft heraus, wobei letztere sich oft gerade bei Zugewanderten bilde, die dort so etwas wie eine Heimat suchten. Die linke Rassismuskritik fördere diese Gemeinschaftsbildung bei den „Nicht-Weißen“ im Sinne eines Partikularismus, der die Rechte und Eigenarten der Unterdrückten zum Ausdruck bringe.

Die Vulnerabilität ist eine weiteres Thema, dem Tezcan ein eigenes Kapitel widmet. Ursprünglich als eine menschliche Schwäche aufgefasst, sei sie bei der Rassismuskritik zur moralischen Stärke avanciert. Die Verletzlichkeit weckt demnach per se die Aggression auf der anderen Seite. Jeder Hinweis eines „Weißen“ auf eine „Andersartigkeit“ des Gegenübers – „Woher kommst Du?“ – wird demnach als Aggression gebrandmarkt. Die Möglichkeit, dass die erwähnte Frage positives Interesse bekunde, werde gar nicht erst erwogen. Damit steige die Vulnerabilität des „Nicht-Weißen“ gar zur moralischen Tugend auf und solle beim „Weißen“ automatisch Schuldgefühle wecken. In diesem Zusammenhang geht Tezcan auch auf die Privilegien der „Weißen“ ein, die so gedeutet würden, dass bereits „Weiß-Sein“ ein unabänderliches Privileg bedeute, dessen sich die „Weißen“ nicht entledigen könnten. Da Privilegien per definitionem unmoralisch weil unbegründet seien, werde hier wieder an das schlechte Gewissen appelliert. In diesem Zuge kritisiert Tezcan geradezu vehement das nach außen getragene „Leiden“ gewisser „Weißer“ an eben diese Privilegien als Höhepunkt der selbstgerechten Heuchelei. Auf der anderen Seite wecke die ständige Betonung „weißer“ Privilegien natürlich die Ressentiments bei den vermeintlichen Opfern, die sich bald in ihrer bequemen und nützlichen Opferrolle einrichteten. Tezcan erwähnt dazu einen älteren Türken, dessen beide Töchter als promovierte Akademiker gute Posten innehätten, der aber nicht auf diesen Integrationserfolg stolz sei, sondern die gefühlte Ausgrenzung seiner frühen Jahre in Deutschland beklage.

Im Zuge der „Social Media“ hat der Begriff der Sichtbarkeit enorm an Bedeutung gewonnen. Laut Tezcan hat die linke Rassismuskritik dies schnell als Vorteil erkannt und fordert jetzt für die „rassistisch“ Ausgegrenzten mehr Sichtbarkeit. Da der Wunsch nach eben dieser Sichtbarkeit ein universeller Wunsch sei, ließen sich die vermeintlichen Opfer des Rassismus gerne auf dieses Spiel ein, eben weil es ihnen öffentliche Sichtbarkeit verleihe. Damit, und das ist ein weiterer Vorwurf an die linke Rassismuskritik, werden Äußerlichkeiten wie Gesicht und Hautfarbe gerade bei dieser Kritik zu wesentlichen Merkmalen der Menschen, ein Phänomen, das man mit der Rassismuskritik ja gerade beseitigen wollte. So kommt Tezcan auch zum Quotendenken in Kultur und Institutionen, dem er eine platte Vordergründigkeit bis hin zur Demokratiefeindlichkeit vorwirft. Wo jede Minderheit automatisch durch eigene Vertreter repräsentiert werde, verliere der Gedanke des besten Arguments gegenüber den partikularen Interessen seine Bedeutung. Außerdem intensiviere sich die schon jetzt spürbare Opferkonkurrenz unter vermeintlich oder tatsächlich Ausgegrenzten. In diesem Zusammenhang kann sich der Rezensent die zustimmende Bemerkung erlauben, das „alter weißer Mann“ bereits rassistisch ist.

Man merkt dem Autor deutlich an, dass er öfter aus Ärger über die ideologische Selbstgerechtigkeit und die inneren Widersprüche der linken Rassismuskritik polemisch werden möchte. Er beherrscht sich jedoch und sublimiert diesen verständlichen Drang durch eine bisweilen fast humoristische Ironie, die der Lektüre einen angenehmen Beigeschmack verleiht. Die vielen persönlichen Erfahrungen des Autors als „Deutsch-Türke“ tun ein Übriges, ihn als Menschen hinter seinen Zeilen sichtbar werden zu lassen.

Das Buch ist im Wallstein-Verlag erschienen, umfasst 181 Seiten und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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