Ein „Schwarzes Loch“ ist eine astrophysikalische Hypothese, die insofern unbeweisbar ist, als dieses Phänomen nicht beobachtet werden kann. Es handelt sich um einen Himmelskörper einer solchen Größe und Gravitation, dass er alles einfallende Licht schluckt, statt es zu reflektieren.
Diese Eigenschaft trifft in gewisser Weise auch auf die Inszenierung des Filmklassikers „Interstellar: Zwischen den Sternen“ in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt zu, der Schwarze Löcher in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Wer diesen Film nicht gesehen hat und sich auch nie mit astrophysikalischen Themen beschäftigt hat, wird diesem Stück keine nützliche Information entnehmen können.
Schon die Handlung ist kompliziert genug und verlangt einiges Verständnis komplizierter kosmologischer Konstellationen und Theorien. In einer ferneren Zukunft ringt die – vom Klimawandel erfasste – Menschheit ums Überleben. Obwohl Raumfahrt aus ökologischen Gründen verboten ist, beschäftigt sich eine geheime NASA-Nachfolgeaktion mit der Übersiedlung auf fremde, bewohnbare Planeten. Da solche innerhalb erreichbarer Grenzen – hier spielt die Größe des Sonnensystems und unserer Galaxis eine Rolle – nicht vorhanden sind, haben die Verfasser sogenannte „Wurmlöcher“ genutzt, die eine schnelle Passage zwischen verschiedenen Galaxien ermöglichen. Dabei handelt es sich jedoch um reine Spekulationen, die zwar mathematisch denkbar, aber praktisch nicht nachweisbar sind. Zum Verständnis dieses Hintergrunds kann auch ein rudimentäres Verständnis von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie nicht schaden.
Unsere Erkunder dieser fremden Planeten reisen also per Wurmloch zu mehreren Planeten, die bereits vorher zwecks Erkundung von Wissenschaftlern besucht wurden, die dort allein forschen oder im jahrzehntelangen Kälteschlaf überwintern. Das Team aus Männern, Frauen und Computern erlebt bei diesen Besuchen gefährliche Erlebnisse bis hin zu Kampf und Tod, während zu Hause die Familie wartet und um Jahrzehnte altert und die Reisenden nur Tage und Wochen erleben. Dabei entdecken diese, dass man per Gravitation auch Informationen durch Wurmlöcher senden und in gewisser Weise Zeitreisen – in die irdische Vergangenheit – unternehmen kann.
Das Ganze ist also ein hochkompliziertes Geflecht physikalischer und kosmologischer Theorien, irdischer Katastrophen und menschlicher Beziehungen. Im Film kann man mit entsprechenden Bildern, Videos und Tricks vieles zur Verbildlichung dieser Gemengelage tun, was der erwähnte Film auch getan hat. Allein schon durch die Kostüme – mal ländliche Farmerkleidung, mal Raumanzüge – kann man den jeweiligen Handlungsort und die Abläufe kennzeichnen und für Verständlichkeit sorgen. Doch selbst für den Kinobesucher – der Rezensent hat den Film vor zehn Jahren gesehen – war es oft schwierig, dem Ablauf zu folgen.
Die Inszenierung von Klaus Gehre hat diese Möglichkeiten nicht oder nutzt sie nicht. Bewusst setzt Gehre auf geradezu ironische Untertreibung oder groteske Komik. So laufen alle Beteiligten in abenteuerlichen Raumanzügen herum, die bewusst nicht an den bekannten Raumanzügen ausgerichtet sind. Die Darsteller wirken eher wie Punks auf einer Street Parade denn wie Weltraumfahrer. Dass sie diese auch in irdisch-häuslichen Szenen nicht ablegen, oder dass Laura Eichten als zehnjährige Tochter des Weltraumpiloten Cooper und als dessen mitreisende Wissenschaftlerin Amelia nie ihr jugendliches Punkkostüm wechselt, macht die Sache für die Zuschauer nicht einfacher. Auch die durchaus strategisch eingesetzten Videosequenzen sorgen nicht für galaktische Atmosphäre, sondern eher für Heiterkeit. Wenn die Astronauten auf einem fernen Planeten über die karge Landschaft blicken, dann sind das zwei Playmobil-Figuren auf einem aus Pappe und Watte gebastelten Konstrukt, das man beim Verlassen der Kammerspiele belächeln kann, und statt weiter Videoszenen aus dem All sieht man die Gesichter der Protagonisten.
Die mächtige Rakete, in der das Team um Cooper die Erde verlässt, ist ein halbverrosteter Lada am Rand der Bühne, und die Weltraumshuttles sind Autoscooter. Da werden die Zuschauer – bewusst? – vom dystopischen Endzeitdrama in den theatralischen Schutzraum der Groteske umgeleitet und können herzlich lachen. Auch das Ensemble interpretiert das Geschehen eher als eine „coole“ Abenteuerreise mit schrägen Kostümen und abgefahrenen Szenen denn als den letzten Überlebenskampf der Menschheit, und die Einstein´schen und späteren kosmologischen Theorien gehen im Hin und Her der eingängigen Szenen unter. Zu verstehen sind sie in der Komprimierung sowieso nicht, und man hat das Gefühl, dass die Regie diesen astrophysikalischen Teil des Films als irrelevant betrachtet.
Auch die Pointe des Films, dass die gemischtgeschlechtliche Reisegruppe nicht rausgeschickt wurde, um Lebensraum für die Menschheit zu suchen, sondern selbst irgendwo da draußen eine neue Welt gründen soll, kommt in dieser Inszenierung nicht zum Ausdruck. Hier geht es stets nur um „Action“ und coole Sprüche. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Aussage einer Dramaturgin, man wolle im Schauspiel die Grauköpfe im Publikum loswerden, hier bewusst durch die Ausrichtung auf ein junges Publikum umgesetzt wird, das man mit schmissigem und dynamischem Handlungstheater ansprechen zu können glaubt. Ernst und tiefere Bedeutung oder gar die äußerste komplexe Handlungs- und Aussagestruktur eines Stückes wie „Interstellar“ sind da nur hinderlich. Am Ende entlässt dieses „Schwarze Loch“ keine sinnhafte Information für das Publikum. Und um im Bild zu bleiben: diese Inszenierung baut auf der Erwartung auf, mit der Gravitation dieser Inszenierung möglichst viel Publikumsmaterial hinter den Ereignishorizont zu locken.
Das Ensemble, bestehend aus Valentin Erb, Laura Eichten. Sebastian Graf, Aaron Eichhorn, Sylvia Köhler und Gundy Papadopulos, sorgte zumindest für Bewegung auf der Bühne und konnte auch den einen oder anderen Lacher verbuchen, obwohl es angesichts des Themas dafür eigentlich keinen Anlass gab.
Das Publikum applaudierte erstaunlich kräftig, um nicht zu sagen, begeistert. Da stimmt die Analogie zum Schwarzen Loch wohl doch.
Frank Raudszus
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