Alain Finkielkraut: „Revisionismus von links“

Print Friendly, PDF & Email

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut ist selbst polnisch-jüdischer Abstammung, und sein Vater überlebte als einer der Wenigen das Konzentrationslager Auschwitz. Dieser familiäre Hintergrund sorgt verständlicherweise für eine besondere Sensibilität für alle Schattierungen von Antisemitismus und Antizionismus.

Das vorliegende Buch entstand bereits Anfang der achtziger Jahre und wurde jetzt – wohl aus aktuellen Gründen – wieder neu aufgelegt. Da der Autor die Entwicklungen der letzten vierzig Jahre damals nicht kennen konnte, sorgt ein Nachwort des Kölner Sozialwissenschaftlers Niklaas Machunsky für die kritische Einordnung des Buches in den aktuellen Antisemitismus-Diskurs.

Der Untertitel „Überlegungen zur Frage des Genozids“ von Finkielkrauts Buch verdeutlicht unmissverständlich, aus welcher Perspektive er die Einstellung der französischen Linken, und nur um die geht es hier, zu den Juden im Allgemeinen und zu Israel im Speziellen untersucht. Bei aller wissenschaftlichen Grundeinstellung spürt man jedoch in seinem Duktus jederzeit die persönliche Betroffenheit. Diese äußert sich zwar nicht in vordergründiger Polemik, aber streckenweise in kontrollierter, aber bitterer Ironie.

Denn Grund für Bitterkeit besteht für Juden auch in Frankreich, und das, ohne gleich die Kollaboration mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg zu bemühen. Finkielkraut erarbeitet seine Kritik am Antisemitismus der französischen Linken allein aus deren Programmen sowie Stellungnahmen ihrer Vertreter aus einem Jahrhundert.

Es beginnt mit der Dreyfus-Affäre Ende des 19. Jahrhunderts. Die orthodoxe Linke weigerte sich geradezu plakativ, dem gesellschaftlichen Opfer Dreyfus beizuspringen, jedoch nicht aus einem vordergründigen Antisemitismus, sondern aus ideologischen Gründen. Die damals noch als quasi deterministisch erwartete Revolution des Proletariats duldete keine tagespolitische Ablenkung. Außerdem hätte ein Eintreten für den aus großbürgerlichem Hause stammenden Dreyfus eine zumindest implizite Koalition mit dem verhassten Klassenfeind bedeutet, was auf keinen Fall zu akzeptieren war. Finkielkraut analysiert die damalige sozialistische Linke mit ihrer Ideologie und ihren wichtigsten Vertretern im Detail mit vielen wörtlichen Zitaten, die seine Aussagen belegen.

Die nächste Phase der antisemitischen Strömungen in der Linken bezeichnet er als Revisionismus. Nach der Enttäuschung über die nicht – wie versprochen und erwartet – historisch zwangsläufig sich ereignende Revolution sowie der Brutalität des real existierendem Sozialismus in Gestalt des Stalinismus etablierte sich bei der französischen Linken eine Generation der enttäuschten Skeptiker. Diese akzeptierten keine großen Narrative mehr, weder im Positiven noch im Negativen. Daher lehnten sie auch den Holocaust ab und brandmarkten ihn als Erfindung oder zumindest Übertreibung des Stalinismus, um die eigenen Gräuel zu überdecken. Darüber hinaus sieht Finkielkraut bei dieser Nachkriegsgeneration einen ausgeprägten Unwillen, eine andere Opfergruppe als die des Proletariats zu akzeptieren, vor allem, wenn die Opfergeschichte eine derartig singuläre Gestalt annimmt. Die Arbeiterklasse wurde in ihren Augen durch den Holocaust ein zweites Mail gedemütigt. Das Markenzeichen des Revisionismus für diese Linke verweist auf den Versuch, historische Tatsachen existenziellen Ausmaßes zu leugnen, wenn sie nicht in das eigene Weltbild passen.

Eine dritte Variante zeichnete sich bei der Entstehung dieses Essays in ihren Anfängen ab. Die Aids-Katastrophe schuf eine neue Klasse von Opfern, die hauptsächlich aus Homosexuellen bestand. Die einschlägigen Diskursgruppen, meist aus der Linken stammend, betrachteten auch hier die Juden als „Besitzstandwahrer“ eines einzigartigen Opferstatus, der andere Gruppen, hier die Homosexuellen, marginalisierte. Das führte logischerweise zu einem Antisemitismus, der weniger rassistisch als ideologisch gefärbt war. Finkielkraut geht nicht im Detail der Frage nach, ob hier auch der „klassische“ Antisemitismus eine Rolle spielte, verweist allerdings auf den religiösen Aspekt des Judentums, der natürlich bei den religionsfeindlichen Linken entsprechende Reaktionen hervorrief.

Finkielkraut bemüht sich zwar um eine nüchterne wissenschaftliche Darstellung seiner Ausführungen, man merkt ihm jedoch immer wieder seine persönliche Betroffenheit an. Das macht die Lektüre bisweilen etwas schwierig, denn in mehreren Fällen versetzt er sich in die Lage seiner – antisemitischen – Gegner und schildert deren Standpunkte nicht in Gestalt von entsprechend markierten Zitaten, sondern als ironisch gebrochene Monologe, so scheinbar antisemitische Positionen einnehmend. Man muss dann stets genau hinschauen, wie so ein Absatz begann, denn diese Perspektivwechsel können auch spontan im Rahmen einer Darlegung des Sachverhalts auftreten. Bei genauem Nachlesen erkennt man dann aber diese literarische Technik. Damit entpuppt sich dieses Buch streckenweise als Hybrid aus wissenschaftlicher Analyse und literarisch präsentiertem Standpunkt.

Im Nachgang zu Finkielkrauts Ausführungen folgt noch der bereits erwähnte Kommentar von Niklaas Machunsky, der Finkielkrauts Darlegungen auf die Jetztzeit anwendet und vor allem die Opferkonkurrenz mit den Stichworten Postkolonialität, Gender und andere marginalisierte Gruppen erwähnt. In vielem gibt er Finkielkraut Recht, vor allem hinsichtlich der zunehmenden Neigung, den Holocaust zugunsten anderer Opfergeschichten zu relativieren. Dabei stützt er sich unter anderem auf eine Studie der Autoren Holz/Haury, die in wissenschaftlich eingehüllter Sachlichkeit letztlich linken Antisemitismus als nichtexistent oder – wo nicht abstreitbar – als unberechtigt beurteilen, dagegen aber einen „rationalen Antizionismus“ als berechtigte linke Haltung bezeichnen. Dabei kommt auch wieder der alte Vorwurf zutage, die Juden/Israelis missbrauchten den Holocaust für das vordergründige Ziel der Singularität.

Doch am Schluss übt er auch Kritik an Finkielkraut, wenn er ihm nachweist, dass er selbst – Finkielkraut – keinen konsistenten Antisemitismusbegriff anbieten können, ob linker oder rechter Provenienz. Der von Finkielkraut konstatierte „linke Revisionismus“ spiegelt tatsächlich eher eine je nach Zeit wechselnde Inkompatibilität des Judentums mit der jeweiligen linken Ideologie denn eine grundsätzliche Position wider. Aus Finkielkrauts Glauben an den Fortschrittsbegriff leitet Machunsly ab, dass Finkielkraut ein unsichtbares gesellschaftliches/historisches System, etwa eine an Heideggers „Gestell“ angelehnte Bürokratie, für die katastrophale Entwicklung des Antisemitismus zum Holocaust verantwortlich macht. Schließlich seien ja – so Finkielkraut – die Nazis nüchterne Verwalter einer von ihnen als historisch zwangsläufig betrachteten Entwicklung gewesen. Finkielkraut glaube selbst an die Bedeutung traditioneller Werte wie Nationalbewusstsein oder Religion und relativiere damit in gewisser Weise den existenziellen Antisemitismus der Nazis. Insofern betrachtet Machunsky Finkielkraut als „Revisionisten von rechts“.

Das Buch vermittelt einen profunden Eindruck des schwierigen Verhältnisses zwischen Judentum und linker Ideologie des 20. Jahrhunderts, und hier ist besonders die essayistische Ergänzung von Niklaas Machunsky hervorzuheben, die nicht nur einen inhaltlichen Kommentar zu Finkielkrauts Ausführungen hinsichtlich der aktuellen Situation, sondern auch deren kritische Einordnung anbietet.

Das Buch ist im Verlag ça ira erschienen, umfasst 203 Seiten und kostet 26 Euro

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar