Wem der Name des Autors dieses Buches nicht geläufig ist, der mag hinter dem Titel „Gutes tun“ gutmenschelnde Ratgeberliteratur mit einem esoterisch-religiösen Hauch vermuten. Doch der Untertitel „Wie der ethische Kapitalismus die Demokratie retten kann“ klärt dieses eventuelle Missverständnis auf und verweist auf ein sozio-ökonomisches Problemumfeld.
Die Philosophie – mal von Karl Marx abgesehen, wenn man ihn als Philosoph betrachtet – verfolgte bis in die jüngere Vergangenheit die Strategie, den Menschen und seine gesellschaftliche Verortung von einem selbstgewählten Beobachterposten aus zu analysieren. Grund für diese Selbstdistanzierung war stets die Befürchtung einer die Perspektiven einengenden Parteilichkeit. Doch unter dem Eindruck der zunehmenden geopolitischen, sozialen und ökologischen Krisen entscheiden sich philosophische Autoren zunehmend für das bewusste Engagement in einer bestimmten Richtung. Nach Jean-Pierre Wils in „Verzicht und Freiheit“ bezieht nun auch der Bonner Lehrstuhlinhaber für Philosophie Markus Gabriel diesen Standpunkt und stellt in seinem Buch klare Forderungen und Empfehlungen für sozio-ökonomische Veränderungen vor. Schon der so einfache wie zur Tat auffordernde Titel spricht Bände, doch auch Stil und Wortwahl spielen eine Rolle. So achtet Gabriel von Beginn an auf eine verständliche Ausdrucksweise, zwar nicht gleich in Gestalt „einfacher Sprache“, aber mit überschaubaren Gliederungen, kurzen und klar benannten Kapiteln sowie vielen konkreten Beispielen.
Gerade letztere vermisst man als Leser oft in gesellschaftswissenschaftlichen Texten, wohl weil die Autoren genau wissen, dass ein konkretes Beispiel stets eine Reduzierung der Komplexität impliziert und vom um Verständnis ringenden Leser sehr oft für das Argument genommen wird. Doch Gabriel geht dieses Risiko bewusst ein und bringt damit seine Ausführungen einem größeren Publikum als nur seinen akademischen Kollegen nahe. Auch vor scheinbaren Klischee-Begriffe wie „gut“ und „böse“ weicht er nicht aus, sondern benutzt gerade diese beiden sozusagen als „Leitmotive“, indem er sie als grundsätzlich existent kennzeichnet, ohne sie deswegen kurzschlüssig bestimmten konkreten Verhältnissen – etwa Sozialismus bzw. Kapitalismus – zuzuordnen.
Den Untertitel erklärt er im ersten Teil dahingehend, dass er den Kapitalismus zwar nicht verteidigt, aber seine grundlegende Ablehnung durch die (philosophische) Linke als Kategorienfehler brandmarkt. Die Kapitalismuskritik betrachtet ihr Feindbild Gabriel zufolge als zentrales System zur Akkumulation des Kapitals durch Ausbeutung der Werktätigen. Gabriel jedoch weist auf die Idee der individuellen Freiheit und der freien Märkte als Zeichen eines ungesteuerten, ja: geradezu anarchischen Wirkungsumfeldes hin, das gerade durch die erhöhten Freiheitsgrade Kreativität und Anpassungsfähigkeit der Teilnehmer freisetzt. Die Überlebensfähigkeit des – von verzweifelten Ideologen bereits seit Längerem mit der Vorsilbe „Spät“ versehenen – Kapitalismus beweist diese Einschätzung, und sein kurzfristiger Zusammenbruch ist wohl mehr ideologische Hoffnung als unausweichliche Entwicklung.
So entwickelt Gabriel die Theorie, dass dieser Kapitalismus auch ethisch um- und aufgerüstet werden könne, wenn man nur wolle. Dabei setzt er nicht auf staatliche Regulierung, denn das wäre ja wieder zentrales Systemdenken mit der unbeantworteten Frage nach der Legitimität der regulierenden Instanzen, sondern auf die kapitalistischen Teilhaber selbst, sprich: die Unternehmen in ihrer ganzen Vielfalt. Um diese Möglichkeit zu begründen, greift er auf die Eigenschaft des Menschen als „prosoziales Tier“ zurück, die er bereits in seinem Buch „Der Mensch als Tier“ herausgearbeitet hat. Demnach ist der Mensch wie jedes (tierische) Lebewesen zum Überleben und zum Erreichen seiner Ziele auf Kooperation angewiesen. Angesichts großer Krisen wie dem Klimawandel müsste es daher für jedes kapitalistische Unternehmen im eigenen Interesse liegen, das Produkt- und Dienstleistungsangebot an moralischen Standards zur Lösung dieser Probleme auszurichten. Dabei muss das nicht zwangsläufig auf Verzicht und Austerität hinauslaufen, sondern kann ebenso ökonomischen Erfolg mit sich bringen wie die „unmoralischen“ Versionen. Regenerative Energie ist im Bereich der Energiegewinnung ein schlagendes Beispiel, und auch die Elektromobilität kann – von neuen Problemen einmal abgesehen – einen solchen ökonomischen Mehrwert schaffen.
Die „kritische Theorie“ der Frankfurter Schule nimmt Gabriel in diesem Zusammenhang ebenfalls aufs Korn. Für ihn haben Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ die Welt des westlichen Kapitalismus als eine der unaufgeklärten Widersprüche definiert, die sich etwa als „Mythos“ und „Rationalität“ oder „Kapital“ und „Ausbeutung“ herausschälen. Doch für Gabriel ist eine Reform der Aufklärung im Sinne einer „Aufklärung der Dialektik“ erforderlich, die nicht mehr die nur noch durch den – selbst desaströsen – Umsturz lösbaren Konflikte konstituiert, sondern einen gangbaren Mittelweg zwischen den Extremen sucht. Nicht das endgültige, „gute“ System darf das Ziel sein, sondern die Lösung konkreter, aktueller Probleme.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen erarbeitet Gabriel dann im dritten Teil konkrete Beispiele, die bewusst nicht im utopischen Bereich – Kernfusion – angesiedelt sind. So empfiehlt er allen größeren Unternehmen die Einrichtung einer „Ethik-Abteilung“, die das Gesamtangebot des jeweiligen Unternehmens nach ökologischen und moralischen – Gender, Rassismus – Kriterien strukturiert. Dabei müsse stets auch die ökonomische Seite betrachtet werden, um die Überlebensfähigkeit der Wirtschaft sicherzustellen. Gabriel glaubt aufgrund der freien Grundstruktur des Kapitalismus an die Möglichkeit eines solchen Paradigmenwechsels und sieht den Zusammenbruch der bestehenden Wirtschaftsordnung eher bei einem unbedachten „weiter so“.
Das Kinderwahlrecht spielt für Gabriel ebenfalls eine wichtige Rolle, da die Kinder schließlich ausbaden müssen, was wir Erwachsenen anrichten, und die allfälligen Gegenargumente – kindliche Unreife, Manipulationsgefahr – beantwortet er mit grundsätzlichen und praktischen Vorschlägen.
Auch der KI räumt er am Ende einen wichtigen Platz in der Zukunft des Kapitalismus ein. Er verneint eindeutig die Gefahr der Verselbständigung der KI mit dem Ziel der Abschaffung des Menschen, da sie als Werkzeug vom Menschen gemacht sei und und ihn deswegen logisch auch nicht überflügeln könne. Allerdings falle auch die Anwendung und Weiterentwicklung der KI unter die Aufsicht der geforderten Ethikabteilungen, so dass eventuell schädliche Ausprägungen frühzeitig erkannt und vermieden werden könnten.
Mit diesem Buch ist Markus Gabriel ein engagierter und an der aktuellen ökosozialen Situation ausgerichteter Beitrag zum Stand der (westlichen) Welt gelungen, der hoffentlich weitere Gesellschaftskreise als nur die philosophische Familie erreichen wird. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich hat er alles dafür getan, und für die Vorstände von Unternehmen sollte es Pflichtlektüre werden.
Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, umfasst 268 Seiten und kostet 22,99 Euro.
Frank Raudszus
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