Eine Brecht´sche Tragödie

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Eigentlich galt Arthur Miller als ein wenig überholt, da seine schriftstellerische Glanzzeit der 50er und 60er Jahre bereits verblasste und weil die sozialen und politischen Themen dieser Epoche seine Stücke prägten. Doch bei einer tiefer schürfenden Regie können diese Stücke völlig neue und zeitlose Kräfte entwickeln. Das ist in Eric de Vroedts Inszenierung des 1955 entstandenen Sozialdramas „Ein Blick von der Brücke“ am Schauspiel Frankfurt eindeutig der Fall.

Die Handlung verläuft eher nach den konventionellen Maßstäben eines sozialkritischen Stücks dieser Zeit – und dieses Autors. Der New Yorker Hafenarbeiter Eddie lebt mit seiner zweiten Frau Beatrice und seiner Tochter Catherine aus erster Ehe ein zwar beengtes aber zufriedenes Leben. Doch als dann zwei Brüder aus der süditalienischen Familie der Frau als illegale Migranten nach New York kommen und bei Eddie ersten Unterschlupf finden, ändert sich die Situation gravierend. Während der eine Bruder, Marco, mit dem schwarz im Hafen verdienten Geld seine kinderreiche Familie zuhause ernährt, sucht sein eher schillernder Bruder Rodolpho ein neues Leben mit viel Spaß, wozu er allerdings die US-Staatsbürgerschaft benötigt. Als er mit Eddies Tochter eine Liebesbeziehung eingeht, ist dieser strikt dagegen und versucht, seine Tochter vor diesem unsteten jungen Mann zu retten. Der Streit eskaliert und endet schließlich mit einer tödlich ausgehenden Tätlichkeit.

Ensemble

Dieses nur scheinbar überschaubare Sozialdrama seziert Eric de Vroedts nach allen Regeln der Theaterkunst. Das beginnt schon mit dem Bühnenbild, das aus einer weiten, rechteckigen Sitzlandschaft inmitten einer rundherum angeordnete Zuschauertribüne besteht. Das erwähnte fünfköpfige Ensemble zerlegt gleich zu Beginn die wohlgeordnete Sitzumgebung in einzelne Teile. Wenn dieses nach einigen Szenen erneut geschieht, erkennt man den metaphorischen Charakter dieser Maßnahme, die den Zerfall des bis dahin – wiederum scheinbar – wohl geregelten Lebensumfeldes der Familie zeigt.

Die Handlung selbst organisiert de Vroedt von Anfang an als Lehrstück im Brecht´schen Sinne, indem er eine mit der Familie bekannte Anwältin (Heidi Ecks) gleichzeitig als eine Art Erzählerin auftreten lässt, die das Umfeld und die Eckpunkte der Handlung vorstellt. Im Laufe der Ereignisse wird sie immer wieder aus ihrer Rolle der Anwältin auf die Meta-Ebene heraufsteigen und aus auktorialer Sicht die Handlung kommentieren. Der Regisseur vermeidet dadurch die Gefahr einer fast naiv auf die einzelnen Handlungselemente zugeschnittenen, sozusagen „biederen“ Inszenierung und gestaltet sie eher als Basis für die eigentliche, hintergründige Tragödie.

Die Hintergründe deuten sich in einem kurzen Gespräch zwischen den Eheleuten an, in dem Beatrice (Christina Geiße) Eddie (André Meyer) auf subtile Weise mangelnde eheliche Pflichterfüllung vorwirft und er ein Gespräch darüber wegen angeblich eigener Probleme verweigert. Der nächste Hinweis erfolgt, wenn Eddie über Rodolpho mehrfach den gleichlautenden Vorwurf äußert, nicht in Ordnung zu sein. Aufgrund dessen eher künstlerischer und modischer Art einschließlich aufgeblondetem Haar schält sich der verdacht der homosexuellen Veranlagung Rodolphos heraus, ohne dass dies explizit ausgesprochen wird. Und Eddie erkennt das aus dem einzigen Grund, weil er selbst entsprechend veranlagt ist. In den fünfziger Jahren konnte auch ein Arthur Miller dieses Thema in den USA nicht offen diskutieren, sondern musste es sozusagen subkutan vermitteln. Ob das damals sofort jeder verstanden hat, sei dahingestellt, heute jedoch erkennt man deutlich, dass diese beiden Männer auf keinen Fall über ihre Veranlagung sprechen dürfen und das auch nicht tun.

Christina Geiße und André Meyer

Während Rodolpho wohl tatsächlich versucht, über eine Heirat mit der noch fast kindlich anmutenden Catherine die Staatsbürgerschaft und damit freie Hand zum Arbeiten und Ausleben seiner Wünsche zu erringen, versucht Eddie genau das zu verhindern, ohne den wahren Grund zu nennen, will er sich nicht selbst gesellschaftlich vernichten. Hier setzt die tragische Seite dieser Geschichte und speziell der vorliegenden Inszenierung an. Eddie übersieht als einziger die Situation in ihrer ganzen Komplexität, will vor allem seine Tochter vor dem Unglück bewahren und treibt sie gerade mit seiner Weigerung aus seinem Haus und in ein sicheres eheliches Unglück. Er erkennt selbst seine tragische Situation, kann sie aber intellektuell nicht ohne eigenes Risiko formulieren. Immer wieder betont er der Anwältin und seiner Frau gegenüber, Rodolpho sei nicht in Ordnung, doch die eine kontert mit der juristischen Situation und die andere mit der Eigenständigkeit seiner Tochter, die er endlich in die Selbständigkeit entlassen müsse. Das Drama kulminiert in einer – damals skandalösen – Kuss-Szene. Dass dies am Ende nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand, und so kommt es dann auch zum tragischen Ende.

Das Ensemble verhandelt dieses tragische Lehrstück auf dem höchsten Niveau. André Meyer spielt einen grundehrlichen aber verzweifelten Vater, der sich am Schluss nur noch in die reine Aggression retten kann. Dabei bringt er die existenzielle Verunsicherung dieses schlichten, aber gutherzigen Mannes durch Körpersprache, Gestik und Mimik auf berührende und überzeugende Weise zum Ausdruck. Am Ende steht dieser Eddie alias André Meyer hilflos dem Schicksal in Gestalt der gesellschaftlichen Konventionen seines Landes gegenüber.

Nina Wolf und Christina Geiße

Nina Wolf ist als Eddies Tochter Catherine das genaue Gegenteil: jugendlich-spontan, mit einer gehörigen Portion naiven Optimismus´ ausgestattet und voller Liebesbedürftigkeit und -beweisen. Dieses Vater-Tochter-Paar könnte kontrastreicher nicht sein und streift bisweilen die Grenzen der Erotik, was wohl sowohl vom Autor als auch vom Regisseur beabsichtigt ist. Nina Wolf bringt dabei die Entwicklung von der zukunftsfreudigen Jugendlichen zur einerseits gereiften, andererseits enttäuschten jungen Frau eindringlich zum Ausdruck.

Christina Geiße hat die eher undankbare Rolle von Eddies erotisch frustrierter Frau zu bewältigen, die überdies nicht gegen die glückliche Zweisamkeit von Vater und Tochter ankommt. Als Warnerin vor dem väterlichen Besitzanspruch hat ihre Beatrice keine Chance, und auch von der verschwiegenen Veranlagung ihres Mannes wird sie nie erfahren. Omar El-Saeidi spielt den Marco als ernsten und sorgenvollen Familienvater, der jedoch noch über eine gute Portion Stolz verfügt, während Arash Nayebbandi den Rodolpho mit einer gehörigen Portion Lebensfreude und auch Schalkhaftigkeit ausstattet, die er aber in brisanten Momenten auch zurücknehmen kann. Die Regie hat hier ganz offensichtlich Darsteller mit Migrationshintergrund ausgewählt, einerseits um der Glaubwürdigkeit willen, andererseits als Verweis auf die heutige Situation. Bleibt Heidi Ecks, die abwechselnd die stets beherrschte Anwältin und die Erzählerin gibt.

Das Premierenpublikum bedankte sich bei allen Beteiligten mit begeistertem Beifall und einigen Bravo-Rufen.

Frank Raudszus

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