Die Ankündigung der Uraufführung des neuen Stückes „Interviews mit Bäumen“ von Michel Decar, der auch Regie führt, in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt ließ einen esoterischen Abend mit weit ausladender Moralgeste vermuten, geht es hier doch um die Respektierung der Bäume als Lebewesen mit den gleichen Rechten und vergleichbarem Bewusstsein wie die Menschen. Doch weit gefehlt – dieses Stück nimmt das Thema ganz anders auf als gedacht!
Jana Wassong hat die Bühne mit Baumattrappen und realistisch anmutenden Felsbrocken in einen deutschen Wald verwandelt, der zusätzlich von der Rückwand als mythisch grün schimmernde Kulisse grüßt, und die zwei Stühle wirken fast ein wenig deplatziert in dieser Naturhöhle.
Es beginnt mit einem Interview der großen Filmproduzentin (Gabriele Drechsel) aus Hollywood, die ihren die Welt neu deutenden und verwandelnden Film im deutschen Frankenwald drehen will. Dem Reporter (Niklas Herzberg) der lokalen Zeitung erklärt sie ihre bescheidene Rolle in diesem monumentalen, einzigartigen Film, wobei sie praktischerweise alle seine möglichen Fragen vorab mit weit ausladender rhetorischer Geste beantwortet und den unfreiwillig Schweigenden bei jedem Räuspern der dauernden Unterbrechung bezichtigt. Diese Produzentin ist eine Egomanin kaum abzuschätzenden verbalen Umfangs, deren Auftritt im wesentlichen die Inszenierung der drei Buchstaben I, C und H darstellt. Autor Decar spart dabei nicht mit satirischem Entlarvungswitz und erntet dafür auch einige Szenenlacher. Dass die ach so banale wie widerwärtige Realität mit Einwänden der deutschen Umweltbehörden dann doch nicht ganz den Vorstellungen der großen Diva entspricht, schält sich im Laufe dieses Selbstinterviews deutlich heraus.
Nachdem diese Szene in einem Wutausbruch über die Verhältnisse – sie sind nicht so! – geendet hat, erscheint in der Folgeszene das Gender-Pendant aus Lokal-Reporterin (Laura Eichten) und Hauptdarsteller des Films (Valentin Erb). War schon die Produzentin eine bewusste Umkehrung der Gender-Klischees, indem sie das Schwadronieren wichtiger Männer auf die Frau übertrug, setzt sich dieser Rollenwechsel jetzt fort, denn der Hauptdarsteller tritt als leidender Hypersensibler auf, dem niemand zuhört und der sich längst enttäuscht von der Welt abgewandt hat. Tränenausbrüche ob der Schlechtigkeit der Welt und vor allem der Produzentin gehören ebenso zum Repertoire dieses nur anders gestrickten Egomanen wie die totale Verinnerlichung seiner Rolle als Douglasie, deren hochkonzentriert vorgetragenes Szenenbeispiel aus einem tief leidenden Wimperzucken besteht.
Nach diesem satirischen Einstieg in die Welt der Film-Prominenz geht es hinunter ins deutsche Prekariat. Vor einer Würstchenbude treffen sich die beiden Reporter, vollbeladen mit Discountertüten. Man kennt sich von der selben Redaktion, und Stück für Stück kommt heraus, dass man sich gegenseitig nie grün war und auch jeweils am andern Stuhl gesägt hat. Beide wurden gefeuert, weil die interviewten Berühmtheiten sich nicht angemessen von ihnen gewürdigt gefühlt hatten. Da stehen sie nun beide vor dem Nichts und lassen Stück für Stück die Hosen des Selbstbetrugs herunter, und am Ende dieses Existenzabstiegs lassen sie beide ihren Frust an dem völlig unbeteiligten Betreiber der Frittenbude aus.
Der vierte und abschließende „Akt“ liefert dann noch einmal einen „Gag“, den wir hier nicht verraten wollen, der aber die beiden Videoschirme rechtfertigt, die während der ersten Szenen das Bühnengeschehen optisch verdoppelt hatten. Diese Szene liefert einen satirischen Abgesang auf ihre Vorgänger und vor allem auf die Beteiligten, die in diesem Stück nur stellvertretend für die Gattung Mensch stehen. Man kann in diesem Stück durchaus eine Mischung aus Surrealismus und Existenzialismus sehen, doch beides ironisch gebrochen und mit einer gehörigen Portion satirischen Witzes präsentiert. In seiner ironischen Abgeklärtheit – ja: Souveränität! – liegt auch eine deutliche Distanz sowohl zu apokalyptischer Düsternis als auch zu verbissener Hypermoral. Auffallend auch, dass Stück wie Regie nicht der Versuchung platter, aber publikumswirksamer Witze erliegen.
Das Ensemble zeichnet sich durch ausgeprägte Spielfreude aus, gibt es hier doch viele Möglichkeiten, das schauspielerische Können zu zeigen. Für Gabriele Drechsel ist die Produzentin DIE Paraderolle, kann sie hier doch mimisch, gestisch und verbal alle Register egomanischen Größenwahns ziehen. Ähnlich trifft auf Valentin Erb zu, der geradezu lustvoll den am Opferdasein des verkannten Genies sich labenden Schauspieler gibt und die Ausdruckslosigkeit der Entsagung geradezu zelebriert. Laura Eichten und Niklas Herzberg dagegen verleihen dem verzweifelten Stolz der faktisch Ausgegrenzten mit vorgespielter Zuversicht und Kaltschnäuzigkeit glaubwürdigen Ausdruck bis zum erlösenden Wutanfall,
Das Premierenpublikum bedankte sich für diese rasante Inszenierung mit lang anhaltendem Beifall.
Frank Raudszus
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