… nicht alles Gold, was glänzt

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Die historische Blüte der Niederlande fand nach der herrschenden Meinung im 17. Jahrhundert statt, als sich das frisch von der spanischen Herrschaft befreite Land zu einer internationalen Handelsnation entwickelte. Dabei spielten die von Spaniern und Portugiesen entdeckten Seerouten nach Asien und zum neuen Kontinent im Westen eine zentrale Rolle.

Genau in diese Zeit fiel auch die Blüte der Künste in dem „niederen“ Land am Meer mit Rembrandt als unumstrittenem Mittelpunkt. Das Frankfurter Städelmuseum hat jetzt Amsterdam, die Stadt Rembrandts und der Kaufleute, in den Mittelpunkt der neuen Ausstellung „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ gerückt. Dabei bringt das Fragezeichen die kritische Perspektive der Ausstellung zum Ausdruck, denn Land und Stadt glänzten durchaus nicht in dem goldenen Schein, den man als solchen durchaus beim Worte nehmen kann.

Johannes Lingelbach: Ansicht des Dam mit dem im Bau befindlichen neuen Rathaus, 1656

Die wirtschaftliche Blüte der Niederlande mit Amsterdam als Zentrum basierte zwar auch auf der religiösen und politischen Freiheit der Bürger, viel stärker jedoch auf der Art des weltweiten Handels. Denn sowohl im fernen Osten als auch im Westen bauten die Niederländer ganz im rücksichtslosen Stil der damaligen Zeit Kolonialreiche auf, unterdrückte die indigene Bevölkerung und betrieben einen regen Sklavenhandel. Das betrachtete man damals überall in Europa als legitim, da nicht-europäische Völker wegen ihrer weniger entwickelten Zivilisation und (Waffen-)Technik eher als Nutztiere denn als Menschen betrachtet wurden.

Das schlägt sich allerdings in den Kunstwerken kaum nieder, wobei dieser „Mangel“ wohl weniger auf ein schlechtes Gewissen denn auf geringen Kenntnissen der Zustände in den fernen Kolonien beruhten. In den Niederlande kamen nur die edlen Gewürze aber keine Farbigen an. Doch wer genauer hinschaut, findet genug Anzeichen für die fragwürdige Moral der angeblich so offenen Amsterdamer Gesellschaft, und Kurator Dr. Jochen Sander und sein Team haben das bei dieser bereits vor sieben Jahren angedachten Ausstellung gründlich getan.

Dazu musste man eine Reihe von Bildern ausstellen, die sich nicht im Städelbesitz befinden. In Zusammenarbeit mit dem Amsterdam Museum gelang es schließlich, eine repräsentative Schau von Werken niederländischer Künstler des 17. Jahrhunderts zusammenzustellen, die ein so eindrucksvolles wie kritisches Bild der Amsterdamer Gesellschaft liefert. Ausgewählte Rembrandt-Bilder aus dem Städel-Bestand ergänzen die Ausstellung.

Bartholomeus van der Helst: Die Vorsteher des Kloverniersdoelen, 1655

Die Ausstellung beginnt mit Stadtplänen und – abbildungen der damaligen Zeit, die deutlich zeigen, wie schnell Amsterdam wuchs, und das Gemälde der Baustelle des neuen Rathauses vermittelt einen lebendigen Eindruck von dem Leben auf den Plätzen und am Hafen der Stadt.

Dann sind da die vielen Bilder der Gilden und Zünfte der Oberschicht von Amsterdam, die ihren Gesichtern und ihrer Bedeutung einen dauerhaften Ausdruck verleihen sollten. Diese Gruppenportraits waren schon vor Rembrandt ein beliebter Brauch, aber erst er brach die starren weil eher repräsentativen Konstellationen dieser Bilder auf und verlieh ihnen durch Farbe und Licht sowohl Individualität als auch Leben. Neben den Gilden waren auch die Schützenvereine wichtige Bindeglieder der niederländischen Gesellschaft, die im Falle innerer wie äußerer Gefahr bereit waren, die Freiheit zu verteidigen.

Aufgrund der wirtschaftlichen Blüte und der freiheitlichen Gesinnung lockte Amsterdam viele Flüchtlinge aus den feudalen und autoritären Ländern Europas an, und in den engen Gassen herrschte bald Armut und Not. Die Behörden reagierten – durchaus sozial – mit der Gründung von Waisen- und Armenhäusern, wenn auch mit einem autoritären Hintergrund. Die Eliten, die diesen Einrichtungen vorstanden, ließen sich gerne und oft von den lokalen Künstlern abbilden, und in den vielen einschlägigen Beispielen der Ausstellung sieht man auch deutlich die eitle Selbstdarstellung der Spender, während die Empfänger der milden Gaben durchweg in grauen Farben und stereotypen Physiognomien auftreten – meist im Hintergrund.

Auch die aufkommende Medizin ließ sich in Gestalt der Chirurgen in Portraits verewigen, wobei der besondere Clou die Abbildung der jeweils untersuchten bzw. sezierten Leichen war, die wiederum von hingerichteten Straftätern stammten. Berücksichtigt man den damaligen Strafbestandskatalog, erkennt man, dass viele dieser Sezierobjekte wahrscheinlich eher nicht todeswürdige Vergehen begangen hatten. Ein Hingerichteter hatte auch als Toter keine Würde mehr.

Werner van den Valckert oder Nicolaes Eliasz Pickenoy zugeschr.: Die Osteologie-Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz, 1619

In einem weiteren Beispiel ließ Rembrandt seine Schüler eine hingerichtete und öffentlich ausgestellte junge Frau zeichnen, die in einem existenziellen Streit mit ihrer Vermieterin diese erschlagen hatte. Selbst die kleinen Zeichnungen der an einem Pfahl hängenden Mädchenleiche rühren den Betrachter noch heute spontan.

Mit gespieltem Ernst verkündete Jochen Sander während seiner exzellenten Einführung die betrübliche Mitteilung, dass man Rembrandts „Nachtwache“ leider nicht zeigen könne, da sie angeblich zu groß sei, um diese Begründung gleich mit dem Hinweis auf das absolute Verleihverbote für dieses einmalige Werk einzukassieren. So gab es auch etwas zu schmunzeln. Dagegen musste er jedoch auch die traurige Tatsache einräumen, dass es in den Niederlanden so gut wie keine authentischen Gemälde zur Sklaverei gebe. Das einzige Bild mit einem farbigen Sklaven(?) im Hintergrund wollten die privaten Besitzer aus – naheliegenden? – Gründen nicht außer Hause geben.

Die Ausstellung ist bis zum 23. März 2025 geöffnet. Näheres ist über die Webseite des Städelmuseums zu erfahren.

Frank Raudszus

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