Kann man Kunst auch fühlen?

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Die „Julia Stoschek Foundation“ in Düsseldorf und Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, aufstrebenden jungen Künstlern eine Plattform zu bieten. Am Berliner Standort in der Leipziger Straße läuft derzeit die Ausstellung „After Images“ mit einer Reihe von Installationen – der Begriff „Werke“ würde den Kern nicht treffen – verschiedener internationaler Künstler.

Das Motto der Ausstellung spiegelt sich bereits im Titel wider. Diese Ausstellung versucht, die traditionelle Hierarchie der Rezeptionskanäle „Sehen, Hören, Fühlen und Riechen“ zu hinterfragen und mit den Exponaten alle Sinne gleichberechtigt anzusprechen. Das hieße in letzter Konsequenz, ein Artefakt zu ertasten oder an seinem Duft zu erfahren. Für den Hörsinn kennt man das in Form der Musik, die man auch im Dunkeln genießen kann.

Schauminstallation

Dass letztere hier als gestaltete Partitur nicht zum Tragen kommt, wundert auf den ersten Blick, lässt sich aber wahrscheinlich dadurch erklären, dass die Musik als Kunstform bereits derart etabliert ist, dass sie selbst ein Teil der – zu hinterfragenden – Hierarchie ist. Also bleibt es bei den Sinnen Tasten und Riechen. Das Haptische jedoch entfällt aus praktischen Gründen, da die Hände hunderter oder gar tausender Besucher die Exponate sehr bald förmlich zum Verschwinden bringen würden. Folglich ist das Berühren gemäß alter Museumssitte geradezu verboten, wenn dieses Verbot auch nicht explizit verkündet wird. Denn die Artefakte sind zum Teil sehr fragil und können ihren Wesenskern durch Berührungen schnell verlieren. Da ist etwa eine Plastik aus senkrechten Glasröhren, aus denen im Zeitlupentempo weißer Seifenschaum quillt und ephemere Nachbildungen der Quellrohre bildet. Von weitem sieht es aus wie weiße Plastik, besteht jedoch weitgehend aus kurzlebigem Schaum.

Eine andere Installation besteht aus Stoffkonstrukten, die wie Hemden mit Ärmeln wirken und durch eine Windmaschine in Bewegung versetzt werden. Die Oberteile und Ärmel bewegen sich dann wie turnende oder tanzende menschliche Körper frei im Raum. Eine durchaus beeindruckende Arbeit, die jedoch ihren Reiz erst durch die visuelle Wahrnehmung entwickeln.

Dann wieder hängt eine biegsame Leuchtschnur von oben im Raum, und ihre Bewegungen spiegeln sich in verschiedenen spiegelnden Exponaten des Raumes wieder, so dieses Artefakt vervielfachend. In einem anderen Raum dreht sich ein Schmalfilmprojektor und produziert einen bildlosen Endlosfilm zu einer windartigen Geräuschkulisse.

Lichterband

Letztlich erfordern alle Exponate, auch die mit Musik oder Geräusch unterlegten, die visuelle Wahrnehmung, um, ausgehend von dieser, die Gesamtwirkung zu erfassen. Auch der abgedunkelte Raum mit tranceartiger Geräuschkulisse erfordert den Blick auf ein abstraktes Farbbild, das als Kern des Artefakts die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

An dieser Ausstellung lässt sich erkennen, wie weit oft die Realität von der angekündigten revolutionären Absicht abweicht. Alle Exponate in den zwei Stockwerken sind geradezu liebevoll mit eigenem Wirkungsraum angeordnet, doch der wesentliche Zugang mit Erkennen, Einordnen und Interpretation führt stets über das Sehen. Dass dann auch die Akustik noch dazu kommt, wobei beim Hörsinn jedoch noch viel „Luft nach oben“ existiert, erweitert den sensorischen Eindruck, ist aber sekundär. Und die Nase kommt in der gesamten Ausstellung gar nicht zu ihrem Recht. Bleibt noch das Geschmacksorgan, das sich an einer kleinen Bar an zu bezahlenden Exponaten wie Cola oder Wasser austoben kann. Ist das vielleicht auch ein Artefakt??

Auch wenn die vollmundig angekündigte sensorische Reise weitestgehend im traditionellen Sinne auf das Sehen beschränkt bleibt, lohnt sich der Besuch dieser Ausstellung, weil es viel zu „sehen“ gibt.

Frank Raudszus

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