Britney Spears, geboren 1981, ist wohl einer der bekanntesten weil kontroversesten Pop-Figuren der Gegenwart. Nach einer steilen Karriere unter dem Management ihres Vaters rasierte sie sich im Jahr 2007 plötzlich den Kopf ab, verweigerte weitere Auftritt und zeigte alle Anzeichen einer traumatisierten Drogenabhängigkeit. Aufgrund der lebensgefährdenden Situation verfügte ein Gericht die Vormundschaft durch den Vater, die erst 2021 auf Antrag des Vaters endete. Für die Öffentlichkeit sah es ganz nach einem drogenbedingten Zusammenbruch aus, der dringend die schützende Hand des Vaters erforderte. Wofür sind Eltern schließlich da, wenn nicht, um die Kinder zu beschützen, und sei es vor sich selbst?
Im “Berliner Ensemble“ am Schiffbauerdamm versucht jetzt die Regisseurin Lena Brasch, dem kontrastreichen Leben von Britney Spears eine neue Deutung abzugewinnen. In dem Einpersonen-Stück „It´s Britney, Bitch!“ stützen Brasch und einige Autorinnen sich im Wesentlichen auf Britney Spears ´ eigene Aussagen statt auf die des Gerichtes und letztlich des Vaters. Zwar besteht stets eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein Opfer eines psychischen Zusammenbruchs andere für das Scheitern verantwortlich macht, doch gerade im Showbusiness ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle „externen“ Nutznießer von der Familie bis zur Musikindustrie ein starkes Interesse am „Funktionieren“ des Goldesels haben und die entsprechenden Narrative verbreiten, zumindest ebenso hoch.
In „It´s Britney, Bitch!“ schlüpft die Schauspielerin Sina Martens in die Rolle, oder soll man besser sagen „Haut“ von Britney Spears und trägt in einem einstündigen Monolog eine emotionale Biographie vor, die ganz aus der Sicht einer unsicheren weil förmlich für den Pop-Markt dressierten jungen Frau erlebt wurde. Als Zuschauer erlebt man die brüchige Selbst- und Weltwahrnehmung einerseits in dem latent um Zustimmung und Zuwendung werbenden Grundton, andererseits in der Suche nach einem Identität verleihenden Wertesystem.
Auf den ersten Blick plaudert diese junge Dame in dem bewusst als Goldkäfig hergerichteten MIni-Pavillon auf der Bühne vor sich her, wundert sich fast schon etwas naiv über Belästigungen aller Art und quasi eingeforderte Verfügbarkeit in jeder Hinsicht. Auf den zweiten Blick jedoch erkennt man diesen Plauderton als subversiven Regieeinfall, der die Unzumutbarkeiten nur scheinbar bagatellisiert und damit erst Recht in den Lichtkegel der Öffentlichkeit rückt. Darüber hinaus nutzt die Regie auch die Tatsache, dass die Darstellerin Sina Martens als öffentlich sichtbare Akteurin des Kulturbetriebs in gewisser Weise ähnlichen Mechanismen ausgesetzt ist, dazu, immer wieder deren Meinung in kurzen Einschüben mit der Erzählung der Titelperson zu vermischen. Das erfolgt derart fließend, dass man die Übergänge kaum erkennt und den Gegenstand der „öffentlich verfügbaren Kunstperson“ umso schärfer wahrnimmt. Dabei spricht SIna Martens nicht für sich, sondern für die Kunstperson der Schauspielerin auf der Bühne, denn man darf annehmen, dass ihre Kommentare wohl einstudiert sind. Da Sina Martens nicht vollständig hinter dieser Darstellerin verschwinden kann, haben wir es also mit einer doppelten Meta-Ebene zu tun, die jedoch als solche nicht plakativ zur Schau gestellt wird.
Nach dieser Erzählung wurde Britney Spears schon von Kindesbeinen an generalstabsmäßig auf ihre Rolle als Pop-Idol dressiert. Ihr Vater sah sie offensichtlich allein als Quelle zukünftigen Reichtums und verzichtete als professioneller Manager vollständig auf jegliche emotionale Interferenzen, da diese die Willigkeit des Kindes und Teenagers nur gefährden würden. Britney wuchs daher als völlig fremdbestimmte Figur auf – wir verwenden diesen Begriff ganz bewusst – und entwickelte weder eine eigene Identität noch eine selbstgewonnene Weltsicht. Sie hielt diese Pop-Welt für die beste aller möglichen Welten, eben weil sie so und da war. Irgendwann musste diese Stagnation mit dem inneren Reifeprozess in Konflikt geraten und zum Zusammenbruch führen. Dass dabei auch Drogen im. Spielwaren, ergibt sich dann aus der unbegriffenen Einsamkeit und aus den Usancen der Branche.
Folgt man dieser Sicht, wird auch die Vormundschaft des Vaters zur Katastrophe für Britney. Man hatte sozusagen den „Bock zum Gärtner“ gemacht. Dreizehn Jahre lang musste sie ihre Karriere sozusagen als dressierter Pudel ohne ein selbstbestimmtes Leben führen, ohne Verfügung über ihre Zeit und ihr – eigenes! – Geld.
Doch um die materiellen Einbußen geht es in diesem Stück nicht, sondern hauptsächlich um die psychischen Folgen eines eingekerkerten Selbst. Die junge Frau auf der Bühne windet sich förmlich in den unsichtbaren Fesseln ihrer Existenz und sucht dabei immer wieder bei den eingeübten Praktiken des Lächelns und der Gefallsucht Hilfe. „Vielleicht bringen mir diese Techniken die LIebe, die ich nie gespürt habe“, mag sie dabei mehr fühlen als denken, denn das selbstbestimmte und kritische Denken ist ihr nie beigebracht worden.
Diese komplexe Mixtur aus Erfolg und Unsicherheit, Bewunderung und nicht erfahrener Liebe, Fremdbestimmung durch eine als absolut empfundene Autorität sowie einer tiefen Sehnsucht nach Selbständigkeit bringt Sina Martens auf überzeugende Weise auf die Bühne. Gerade der scheinbar unprätentiöse Plauderton lässt den Konflikt dahinter aufleuchten, unselbständig die Ausbrüche von Aggression sind eher gespielt da eigentlich nicht erlaubt.
Das Publikum im ausverkauften Haus spendete nicht nur begeisterten Schlussbeifall, sondern äußerte auch während der Aufführung immer wieder spontane Zustimmung zu den Vorwürfen an die gesellschaftliche Umgebung eines Pop-Idols.
Frank Raudszus
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