Die Dialektik des Flötenzaubers

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Was kann man an Überraschung erwarten, wenn ein eher kleines Landestheater die weltweit meistgespielte Oper – Mozarts „Zauberflöte“ – inszeniert? Keine Überraschung oder Originalität, da schon alles gesagt scheint. Und doch steht man nach der Premiere dieses „Singspiels“ im ostwestfälischen Detmold überrascht und beeindruckt vor dem nun geschlossenen Vorhang – und keine Frage bleibt offen. Regisseur Dirk Schmeding und Regisseur Claudio Novati präsentieren hier eine Inszenierung, die sich sowohl den Gegebenheiten des Theaters anpasst als auch dem Werk neue Perspektiven abgewinnt.

Dabei hat Schmeding etwas getan, was – vor allem junge – Regisseure ungern tun: sich auf neuere Interpretationen eines Werkes einzulassen und deren Sichtweisen und Erkenntnisse in die eigene Inszenierung einfließen zu lassen. In diesem Fall ist es Laurenz Lüttekens kürzlich erschienenes Buch „Die Zauberflöte“, das wir hier besprochen haben. Lütteken sieht dabei um 1791 eine erschöpfte Aufklärung, die das überforderte Publikum mit einem wilden emotionalen Gemisch aus gewohnter, irrationaler Unmündigkeit und ungewollter Mündigkeit überfordert. Nichts anderes als diese Situation haben ihm zufolge Mozart und Schikaneder in ihrer gemeinsamen Oper musiktheatralisch umgesetzt. Und Dirk Schmeding folgt Lüttekens Spuren.

Ensemble

Das beginnt schon während der von Dirigent Novati volksnah und bodenständig intonierten Ouvertüre, wenn sich Tamino (Stephen Chambers) seine prächtige Prinzenuniform vom Leibe reißt und in Panik versucht, sich in Unterhose hinter dem rettenden eisernen Vorhang zu verstecken. Dort jammert er dann in der ersten Szene vor einer Schlange, die anschließend drei Damen lässig verscheuchen. Ein Antiheld!

In diesem Stil geht es weiter auf einer eher spartanisch mit wenigen Felsentrümmern geschmückten Bühne. Schmeding betont mehr die Naivität sowohl des jungen Liebespaares als dessen große Liebe, ohne deswegen den Text zu ändern. Während Papageno (Jonah Spungin) den Rahmen der üblichen Interpretationen nicht verlässt, zeichnet sich die Königin der Nacht (Julia Gromball) im Gegensatz zu herkömmlichen Interpretationen weniger durch Bösartigkeit als durch Ambivalenz aus. Das fängt schon mit Kleidung – weiß! – und Haarfarbe – weißblond – an und setzt sich in einer Art forcierter Kapriziosität fort, die eher als Schutzpanzer denn als Waffe zu verstehen ist. Dabei steht diese Figur metaphorisch für die von der Aufklärung ins archaische Archiv abgeschobene Metaphysik, was sich bildlich an der Gebrechlichkeit – Krückstock! – der alten Dame zeigt. Die dogmatische weil katholische Metaphysik rafft sich noch einmal ein letztes Mal auf, um ihre – evangelische? – Nachfolgerin namens Pamina (Karola Sophia Schmid) vor der Aufklärung eines Sarastro zu retten, doch umsonst.

Julia Gromball

Diesen hat Schmeding nicht wie üblich als strengen und weihevollen Priester weit über dem Erkenntnishorizont des Volkes angelegt, sondern als einen selbstgefälligen Emporkömmling. Man kann sich gut vorstellen, wie im Lauf einer erfolgreichen Bewegung – hier die Aufklärung – Trittbrettfahrer sich auf den Wagen schwingen und im Glanz des Rechthabens sonnen. Jaime Modaca Galaz legt ihn als übergewichtigen – viele Kissen! – Schwadronierer an, der sich seiner Stellung sehr bewusst ist und das alle spüren lässt. Das verleiht den Sarastro-Texten eine völlig neue Note der Ambivalenz und – ja! – Ironie. Folgerichtig kommt sein Oberpriester, auch „erster Sprecher“ genannt, als opportunistischer Verwaltungsautomat mit spießig-grauem Anzug daher und liest seinem Chef die Wünsche von den Lippen ab. Um die beiden herum lässt Schmeding den Chor als brave intellektuelle Lemminge im Outfit der Siebziger auftreten, mal als fleißig notierende Assistenten eines eitlen Chefarztes, mal als eifrige Ingenieure in einem technologischen Forschungsinstitut. Dazu hat Bühnen- und Kostümbildner Pascal Seibicke einen kraterübersäten Planeten an der Rückseite der Bühne installiert, der metaphorisch für die fragwürdigen Folgen der Aufklärung steht.

Auch einige brisante Kanten hat Schmeding bewusst umgangen. So verweisen weder Kleidung noch Hautfarbe des sexistische Monostatos (Nikos Striezel) auf migrantischen Hintergrund, wie es früher durchaus der Fall war, wohl weil europäische Geschichte und Gegenwart genug einschlägige Beispiele enthalten. Auch seine Truppe gefügiger Gewalttäter, die nur der Zauberkraft der Flöte weichen, trägt lediglich unverfängliche Dobermann-Köpfe zur Schau.

Die Musik passt sich dem Haus in idealer Weise an. Die eher schmale Bühne und der überschaubare Zuschauersaal in dem mit viel geschichtlichen Assoziationen aufwartenden Saal erlauben eine eher kammermusikalische Interpretation. Dabei lässt Dirigent Novati schon in der Ouvertüre den dunklen Bläsern und Streichern neben den Violinen viel Raum, so dass die Musik nicht in erster Linie weich und (über)ästhetisch sondern volksnah und lebensfroh klingt. Das passt natürlich zu einem „Singspiel“, das seine Uraufführung in einem Vorstadttheater erlebte. Trotz dieser fast schon volkstümlich anmutenden Intonation lässt Novati den Sängern viel akustischen Raum für ihre Entfaltung und versucht nie, das Geschehen orchestral zu inszenieren.

Jonah Spungin und Karola Sophia Schmid

Die sängerischen Leistungen kann man mit Fug und Recht als überraschend bezeichnen, ist es doch nicht einfach, an ein solches Theater Sängerinnen zu engagieren, die die Koloraturarie der Königin der Nacht derart sauber und klar vortragen wie Julia Gromball. Und Karola Sophia Schmid verleiht der Pamina sowohl stimmlich als auch darstellerisch einen ganz eigenen, starken Charakter, weit entfernt von der in vielen früheren Inszenierung nur leidenden Figur. Stephen Chambers verleiht seinem Tamino eher verhaltene Züge, während Jonah Spungin seinen Papageno mit allen Zutaten des Slapstick-Humors spielt und damit viele Lacher erntet.

Und für schwarzen Humor ist auch gesorgt, wenn vor der Feuertaufe des Liebespaares zwei Totengräber mit Zinksärgen die Hamlet´schen Totengräber nachspielen, wenn auch ohne Yoricks Schädel.

Mit dieser Inszenierung hat das Landestheater eine wirklich gelungene und bemerkenswerte Version des größten Opernklassikers auf die Bühne gebracht, und das Publikum hat dies mit langem, begeistertem Beifall gewürdigt.

Frank Raudszus

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