Der Titel der neuen Komödie in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt, „Was der Butler sah“, irritiert in sofern, als es diesen Butler im Stück weder als Person noch als Erwähnung gibt. Doch wenn man das Geschlecht in „die Butler“ ändert, wird ein Schuh daraus. Vor fünfzig Jahren hätte Judith Butler ihre bekannt Empörung über toxische Männlichkeit durchaus in diesem Theaterstück verdichten können. Da aber der Autor nun einmal der früh verstorbene Engländer Joe Orton war, muss man ihn sich als Vorläufer der gegen sexuelle Machtansprüche und Doppelmoral kämpfenden Aktivistin vorstellen. Er wird natürlich nicht gewusst haben, dass der unverständliche Titel dieses Stücks so lange Schatten werfen würde.
Das Stück klagt auf drastische Art und Weise die sexuelle Prüderie einerseits und die dazugehörige Verklemmung und Tabuisierung andererseits an. Vor allem die sexuelle Übergriffigkeit der Männer und die in England damals noch strafwürdige Homosexualität – Orton war selbst schwul – stehen dabei im Mittelpunkt. Orton wütet in seiner „Komödie“ geradezu über sexuelle Nötigung, Verfolgung Homosexueller und den Allmachtswahn von Psychiatern.
Bei einer heutigen Inszenierung führt das natürlich zu Problemen, denn seit Judith Butler und „MeToo“ werden diese Themen durchaus nicht mehr unter den Tisch gekehrt sondern in einer kaum noch zu überschauenden Vielfalt – und auch Penetranz – diskutiert und auch auf die Bühne gebracht. Schockieren kann man mit sexuellen Themen aller Art nicht mehr, und so bleibt dann von der Bühnen-Provokation oder gar einem Theaterskandal nur noch der deftig-direkte Klamauk.
Orton hat sein Stück als Boulevard-Komödie mit „Tür links, Tür rechts“ aufgebaut. Ständig müssen Personen, Handlungen oder Dinge vor den anderen handelnden Personen versteckt werden, wofür man erstens die Türen benötigt und was zweitens zu grotesken Situationen führt. Die zu verbergenden Personen müssen permanent verkleidet werden, um nicht erkannt zu werden, was zu dem – beabsichtigten – Effekt führt, dass die Zuschauer im Gegensatz zu den Protagonisten die Verkleidung durchschauen.
Die Handlung ist schlicht, aber deutlich. Die junge Geraldine (Aleksandra Kienitz) spricht mit Psychiater Dr. Prentice (Jörg Zirnstein) über die zukünftige Arbeit als Sekretärin. Als er sie bittet, sich auszuziehen, fragt das naiv-gutgläubige Mädchen der sechziger Jahre zwar, ob das nötig sei, folgt aber der Aufforderung der Autorität. Die Zuschauer wissen natürlich sofort, worum es geht. Gerade als Dr. Prentice zur „MeToo“-Tat schreiten will, platzt seine Frau (Gabriele Drechsel) zusammen mit einem jungen Hotelpagen (Sebastian Schulze) herein, der sie mit beim gemeinsamen Liebesspiel angefertigten Fotos erpressen will und den Sekretärsposten fordert. Derweil versteckt sich Geraldine hinter dem Paravent. Dann tritt auch noch ein Regierungsbeamter (Florian Donath), seines Zeichens selbst Psychiater, zwecks Überprüfung der Psychiatriepraxis auf. Seine ungehalten geäußerte Feststellung, dass es zwischen Psychiater und Psychopath noch einen feinen Unterschied gebe, widerlegt er im Laufe der Aufführung mit seinem eigenen Auftreten, das eher einem libidogesteuerten Psychopathen denn einem Seelenarzt gleicht. Als Abrundung des Chaos erscheint dann noch ein Polizist (Hubert Schlemmer), der den jungen Hotelpagen wegen sexueller Nötigung sucht.
Jetzt folgt das übliche Verwirrspiel mit verkleideten und versteckten Personen, denn das Ehepaar muss sowohl Geraldine – vor dem verrückten Beamten – als auch den Hotelpagen – vor der Polizei – verstecken. Dabei geht natürlich alles drunter und rüber, keiner weiß mehr, wer wer ist, und das Publikum amüsiert sich bestens im klassischen Slapstickstil. Das Happy-End am Schluss, ein wenig von „Der Barbier von Sevilla“ inspiriert, lässt an grotesker Überzeichnung nichts zu wünschen übrig und war wohl selbst als Kritik an der wohlgefälligen Übertünchung gesellschaftlicher Skandale der sechziger Jahre gedacht.
Bei alle dem Slapstick-Chaos bleibt natürlich von der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themen der sexuellen Nötigung und Machtausübung nicht mehr viel übrig. Was man in den Sechzigern vielleicht noch als nötigenden Bühnenskandal betrachtete, wird jetzt nur noch weggelacht. Das liegt aber weniger an einer mangelnden Empathie des Publikums, sondern an dem zunehmenden Klamauk auf der Bühne.
Das Ensemble macht durch Tempo und Witz aus diesem ein wenig aus der Zeit gefallenen Stück noch das Beste, aber kann auch keinen Provokation oder gar einen Theaterskandal inszenieren. Der Aufstand eines sexuell und sozial diskriminierten Autors gegen eine in Prüderie und Doppelmoral erstarrte Gesellschaft schafft es hier nur zum beklatschten Boulevardstück deftigen Charakters. Das liegt weniger an der Schwäche der Inszenierung als an dem Stoff, der zwar heute immer noch aktuell ist, den man allerdings aufgrund der mittlerweile erfolgten gesellschaftlichen Entwicklung ganz anderes hätte verarbeiten müssen. Das wäre dann aber nicht mehr Joe Ortons „Was der Butler sah“ gewesen. „Die“ Butler würde das heute ganz anders sehen.
Das Publikum spendete dieser Komödie dennoch kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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