Ulrike Edschmid: „Die letzte Patientin“

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Ein schmaler Band nur, den Ulrike Edschmid mit „Die letzte Patientin“ geschrieben hat, doch inhaltlich unglaublich schwergewichtig, so entblößend, dass man als Leserin tief in das Seelenleben der Protagonistin eindringt.

Es geht um eine junge Frau, die 1973 nach Frankfurt in eine Wohngemeinschaft zieht. Luxemburg hat sie verlassen, weil sie die Ansichten und den Lebensstil ihrer Eltern nicht mehr aushielt. Eine Beziehung ist gescheitert, weil der Mann sie verlassen hat. Wie nebenbei studiert sie Geschichte und Französisch in Frankfurt. Eine kurze Beziehung zu einem spanischen Anarchisten endet nicht glücklich. Von irgendetwas getrieben, geht sie etwa zwanzig Jahre auf Reisen. Ihr Weg führt sie nach Barcelona, weiter nach Mexiko City, Guatemala, Costa Rica, Bolivien, Paraguay und Argentinien. Sie wirkt gehetzt, hat verschiedene kurze Beziehungen, treibt ab. Sie sucht Wärme bei ihren Partnern, doch das, was sie sucht und erträumt, erhält sie nicht, sodass sie immer wieder ins Nichts abstürzt. Einerseits sucht sie immer wieder neue Beziehungen, andererseits hält sie keine Nähe und keine Kompromisse aus. In ihr selbst ist nur Leere. Ihre Reisen sind eine Suche nach etwas, von dem sie selbst nicht weiß, was es ist. Sie lebt in einer Flucht vor der Selbsterkenntnis.

Als sie an Brustkrebs erkrankt, sieht sie die Krankheit als Zeichen, ihr Leben zu verändern Sie beginnt ein Psychologiestudium, unterzieht sich nebenbei einer Psychotherapie und durchläuft noch eine Ausbildung in Körpertherapie. Auch hier wiederholt sich das selbe Muster wie bei den Reisen. Sie stürzt in alles oder nichts, was möglich ist. Doch wieder findet sie keine Erfüllung.

Als sie schließlich eine schwer traumatisierte Patientin in Therapie nimmt, nähert sie sich dem Seelenleben dieser sechszehnjährigen jungen Frau mit großer Geduld an. Die Patientin spricht nicht, kommt aber regelmäßig zu den Montagssitzungen. Ganze zehn Jahre versucht sie, das Schweigen ihrer Patientin zu brechen. Sie fühlt eine innere Nähe zu der jungen Frau, die ihren Schmerz nicht benennen kann. Da auch sie ihren eigenen Schmerz nicht erklären kann, fühlt sich die Psychologin ihr nah und übt sich in Geduld.

Es ist wahrscheinlich kein echter Fall, den die Autorin hier beschreibt, sondern eine Metapher für die eigenen Probleme der Protagonistin. In der Beschäftigung mit der jungen Frau erkennt sich die Psychologin selbst.

Das alles ist knapp und bündig erzählt. Der Roman strahlt eine Kühle aus, die den Leser immer wieder auf Distanz hält, aber in ihrer Präzision von großem Können zeugt.

Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag erschienen, umfasst 109 Seiten und kostet 23 Euro.

Barbara Raudszus

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