Eine Zugfahrt, die ist lustig …

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Montag, 9. September 2024: Ich starte frohgemut in den Tag, denn ich freue mich auf die Fahrt nach  Niebüll. Dort wird mich meine Schwester um 15.44 Uhr am Bahnhof erwarten, wenn denn die Bahn pünktlich ist. Wir wollen wieder einmal unsere Ferienwohnung in Klanxbüll für eine Woche beziehen, um von dort aus täglich nach Sylt zu fahren und die Insel mit dem Fahrrad zu erobern.

Viel kann ja nicht passieren, denn ich habe den durchgehenden Zug nach Westerland gewählt. Da macht es mir nichts aus, wenn der Zug Verspätung hat. Ich kann in Ruhe lesen, zwischendurch ein Nickerchen machen oder auch einfach in die Landschaft schauen.

Tatsächlich fährt mein ICE fast pünktlich in Düsseldorf ab, statt um 9.28 Uhr um 9.35 Uhr, aber das ist für die DB so gut wie nichts.

Zwar ist die Reservierungskennzeichnung völlig falsch, mein Platz ist angeblich erst von Münster aus reserviert, aber ich kann problemlos online einchecken und werde entsprechend von keinem Schaffner gestört.

Allerdings sagt mir schon der DB Navigator, dass ich leider von Hamburg aus mit dem RE bis Elmshorn fahren muss, in Elmshorn dann mit einem weiteren RE bis Itzehoe und von dort aus dann mit dem nächsten RE nach Niebüll bzw. Klanxbüll. Geplante Ankunft nun um 16.06 Uhr. Das ist ja noch erträglich und im Rahmen der üblichen DB-Verspätungen, wenn es auch nicht so gemütlich klingt wie der planmäßige durchgehende Zug. Aber ich bin flexibel und lasse mir die Laune nicht verderben. Grund für diese Änderungen ist ein Brand im Stellwerk Elmshorn drei Tage zuvor.

Bis Hamburg ist die Fahrt angenehm bis auf die ununterbrochen laut quatschenden Damen schräg gegenüber von mir. Aber wozu habe ich meine EarPods! Mit NDR Kultur kann ich mich gegen die Damen einigermaßen abschotten.

Hamburg erreichen wir wundersamerweise nahezu pünktlich mit nur ein paar Minuten Verspätung. Wenn ich also schnell vor der Schulklasse aussteigen kann, werde ich den Zug nach Elmshorn auf Gleis 12 noch erreichen. Dachte ich! Denn dann kommt die Durchsage, dass dieser Zug leider ausfalle und dass es nur per S-Bahn bis Pinneberg weitergehen könne. Alles Weitere müsse man dort erfahren. Grund ist offenbar ein zusätzlicher Kabelschaden bei Elmshorn. Na toll!

Aber ich treffe eine nette Dame in ungefähr meinem Alter, d.h. Im Oma-Alter jenseits der 75, der ich den Weg zur S3 auf Gleis 1 zeige. So vergeht die Zeit bis Pinneberg mit nettem Gespräch.

Dort erst mal zur Information. Ich muss jetzt durch die riesige DB-Baustelle zum ZOB und dort den Bus nach Elmshorn nehmen. An der Info steht schon ein verzweifelterLehrer, der mit seiner Schulklasse nach Westerland weiterreisen möchte, aber von dem einen Busfahrer abgewiesen wurde, in den nächsten Bus wegen Überfüllung mit seiner Gruppe nicht einsteigen konnte.

Ich aber habe Glück. Der Bus kommt tatsächlich, und ich ergattere sogar einen Sitzplatz. 

Mittlerweile hat sich eine wahre Notgemeinschaft aus Reisenden nach Sylt, Föhr oder Amrum gebildet. Besonders die mit den Zielen Föhr und Amrum sind besorgt, ob sie die Fähre in Dagebüll erwischen. Wenn der Bus rechtzeitig Elmshorn erreicht und wenn dort der Bus nach Itzehoe pünktlich ist und wenn man dann den Zug in Itzehoe um 16.24 Uhr erreicht, ist die Überfahrt gesichert. Wenn aber nicht?

Als wir Elmshorn erreichen, werden die Menschen langsam nervös. Kommt der Bus wirklich? Warum gibt es keinen Schienenersatzverkehr? Bei einigen liegen die Nerven blank, andere können es nur noch mit Humor nehmen,

Der Bus kommt, aber nicht als Ersatzverkehr mit direttissima nach Itzehoe, sondern der normale Linienbus, der völlig überfüllt ist. Zum Glück haben die meisten 18-jährigen einen Sitzplatz erwischt. Wir Mitte 70-jährigen können ja gut stehen, auch wenn man Knie oder Hüfte hat. Stürzen kann man nicht, weil alle auf Tuchfühlung stehen. Dieser Bus hält als Linienbus an jeder Milchkanne. Als dann noch eine sehbehinderte Frau einsteigt und einen Sitzplatz benötigt, wird es schwierig mit dem Durchkommen. Dem Busfahrer gelingt es, zwei junge Leute von den Sitzplätzen für Menschen mit Handicap zu verscheuchen und die Frau auf einen Sitzplatz zu bugsieren. Ich bin so unverschämt, mich auf den zweiten freien Platz zu setzen. Ich hoffe, die  beiden jungen Leute haben den Rest der Fahrt stehend überstanden.

Gegen 16.24 Uhr sind wir in Itzehoe am Bahnhof. Der RE wird doch wohl gewartet haben. Also schnell treppauf zu Gleis 5, wo der Zug auch noch auf der Anzeigetafel steht. Aber Ätsch! Zu früh gefreut. Der Zug ist pünktlich Richtung Westerland abgefahren, konnte offenbar nicht einmal fünf Minuten warten, obwohl jetzt auch gerade wieder ein RE aus Elmshorn eintrifft, nachdem der Kabelschaden offenbar behoben ist.

Jedenfalls ist jetzt Zeit, endlich einmal zur Toilette zu gehen. Aber noch einmal Ätsch! Die Toiletten  sind wegen Vandalismus gesperrt. Man könnte 200m in den Ort gehen, dann nach links und dann nach irgendwo. Macht natürlich niemand. Stattdessen warten alle auf den Zug um 17.24 Uhr. Damit uns nicht langweilig wird, werden wir noch zweimal zwischen Gleis 5 und Gleis 3 hin- und hergescheucht, immer treppab und treppauf. Die meisten Fahrgäste jenseits der 65, manche gehbehindert. Es gibt tatsächlich einen Aufzug, den aber die meisten vor Aufregung nicht sehen. Ich habe Glück, weil ich einen hilfsbereiten Begleiter gefunden habe, der mir den Koffer trägt. Danke!

Er hat eine besondere Geschichte. Er fährt jeden Tag mit Zug und S-Bahn von Heide nach Hamburg-Bergedorf, um seine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Heute beschloss er weise in Elmshorn das Ende seiner Reise und kehrte nach einem Essen beim Thailänder wieder um. So kann man aus der Strecke Heide -Elmshorn und zurück ein tagesfüllendes Programm machen.  

Mittlerweile sind die Amrum- und Föhr-Reisenden in heller Aufregung. Ein Anruf in Dagebüll bei der Fähre ergibt, dass die DB keine Verspätung gemeldet hat, was sie normalerweise tut. Lakonischer Kommentar eines Witzboldes: Ist ja auch keine Verspätung, sondern Zugausfall. Das meint die DB offenbar nicht melden zu müssen. Eine Reisende versucht es dann mit dem Anruf bei der DB, wo sie nach zehn Minuten aus der Warteschleife fliegt. Aber – oh Wunder – beim zweiten Versuch trifft sie am anderen Ende der Leitung auf eine nette Mitarbeiterin der DB (die gibt es wirklich, die können ja auch nichts für das Chaos), die verspricht, in Dagebüll anzurufen.

Ich hoffe, alle haben den Zug von Niebüll nach Dagebüll erreicht und die Fähre erwischt. 

Denn tatsächlich trifft der Zug nach Westerland rechtzeitig in Itzehoe ein. Leider fährt der dann erst mit 18 Minuten Verspätung unter großem Applaus der Reisenden ab. Mittlerweile haben wir uns auch daran gewöhnt, die vielen Bitten der DB Mitarbeiter um Entschuldigung mitleidig zu akzeptieren und mit Lachen statt mit Meckern zu quittieren.

Für mich hat die Fahrt mit dem RE einen Vorteil: Ich kann um 19.20 Uhr in Klanxbüll aussteigen, meine Schwester muss nicht noch einmal bis Niebüll fahren. Und ich habe viele nette Menschen kennen gelernt. Notsituationen schweißen eben zusammen und machen die Menschen offen für einander.

Vielen Dank, liebe DB, für eine außergewöhnliche 10-stündige Fahrt von Düsseldorf nach Klanxbüll am 9. September 2024.

Elke Trost                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        

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