„Was ist Kunst?“ – eine der ältesten und am heißesten Fragen fortgeschrittener Gesellschaften. Und eine Folgefrage lautet dann, was denn „angewandte Kunst“ heiße, denn Kulturen pflegen nach einiger Zeit, vor allem im Zuge einer wohl zwangsläufigen Säkularisierung, die Kunst als quasi transzendentales Bildungsgut zu betrachten, sozusagen als Religionsersatz. Da gilt es dann, die „Kunst an sich“ von ihrem „angewendeten“ Gegenpart fein säuberlich zu trennen und letztere – zumindest unterschwellig – abzuwerten. Wenn das dann intellektuell aktenkundig wird, wertet man diese „Anwendbarkeit“ im nächsten Schritt als singuläres Identitätsmerkmal wieder auf, und wenn auch nur, um eine vermeintliche Diskriminierung zu beenden.
Das „Museum Angewandte Kunst“ in Frankfurt befasst sich mit eben diesem Genre und verfügt damit über einen weiten Spielraum, der alles außer- oder unterhalb der als „authentisch“ empfundenen Kunst umfasst. Das kann sich um Hauseinrichtungen wie die „Frankfurter Küche“ handeln oder – wie in diesem Fall – um einen Künstler, dessen Werke sich wegen ihrer Vielfalt und Alltagsnähe nicht richtig einordnen lassen.
Der Algerier Hamid Zénati gehört offensichtlich zu dieser Spezies, andernfalls hätte er in der Schirn oder im Städel eine Verehrungsstätte gefunden. Der 1944 im algerischen Constantine geborene und 2022 in München gestorbene Künstler galt als Autodidakt und versuchte sich in allen Arten der bildenden künstlerischen Betätigung. Dazu gehört der Umgang mit Farben in weitestem Sinne, um hier den zu engen Begriff der Malerei zu vermeiden, aber auch die Anfertigung von Gegenständen aller Art vom Teppich über Möbel bis zu Haushaltsgeräten, jedoch immer in erster Linie mit einem ästhetischen Anspruch. So sind einige Stühle von ihm als solche zwar erkennbar, aber ästhetische verfremdet bis zur praktischen Nutzlosigkeit. Hier gilt nicht Bauhaus sondern Beuys oder zumindest Magritte.
Geht man durch die Räume des Museums, dann ist man mit einem wahren Farbensturm konfrontiert, der jedoch so geschickt angeordnet ist, dass sich die einzelnen Stücke nicht gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Da sind abstrakte Bilder, die nur aus intensiven Farbflächen ohne jegliche Inhaltliche Aussage bestehen und schon dadurch die Besucher in ihren Bann ziehen. Dann wieder wirkt eine eng gehängte Sammlung scheinbar leerer Bilderrahmen wie eine nicht genutzte Lücke, bis man die das fein abgestufte graue Stoffgewebe in den Rahmen entdeckt. Farblosigkeit als Thema.
An einer anderen Wand kann man Zénatis Familie als Teil seiner Kunstkommune in Gestalt von Fotografien besichtigen, und mit einem Seitenblick sieht man die von ihnen getragenen farbenfrohen Pullover und Blusen hängen. Nicht weit davon entfernt sind diverse Küchengeräte zu besichtigen, die durchweg nicht nur durch orientalische Eleganz sondern auch durch schöpferischen Witz glänzen. Nicht selten sieht man das ironische Lächeln des Künstlers durch die Gegenstände schimmern. Gerne spießte Zénati die verspielte Biederkeit bürgerlicher Gesellschaften auf, jedoch nicht als böse Polemik, sondern als ästhetisch umschriebene Ironie.
So wandert man durch die neun Themenbereiche, die hier einzeln aufzuführen den Rahmen sprengen würde, und erfreut sich an der Farbenfroheit und dem damit zum Ausdruck gebrachten Optimismus, der so gar nicht zu einem Mann passte, der Zeit seines Lebens im unruhigen Algerien nicht leben konnte und in Deutschland nie als Bürger anerkannt wurde, obwohl er dort Jahrzehnte lebte und arbeitete.
Die Ausstellung ist bis zum 12. Januar 2025 geöffnet. Näheres ist über die Webseite des „Museum Angewandte Kunst“ zu erfahren.
Frank Raudszus
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