Omri Boehm: „Die Realität der Ideale“

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In diesem kleinen Band hat der Autor von „Radikaler Universalismus“ drei Vorträge zusammengefasst, die er nach dem 7. Oktober 2023 in München, Leipzig – Dankesrede bei der Buchmesse – und Wien – auf dem Judenplatz! – gehalten hat.

Die erste Rede – „Ethischer Monotheismus heute“ übertitelt, stand noch unmittelbar unter dem Eindruck des Massakers der Hamas. Hier deutet er den (jüdischen) Monotheismus als eine Art Universalismus, der ein einziges Basisprinzip – nämlich die Ethik – in den Mittelpunkt allen philosophischen Denkens rückt, während der griechische (und germanische!) Polytheismus sozusagen mehrere unterschiedliche höchste Instanzen – die Götter – als durchaus rivalisierende betrachtet. Der jüdische Monotheismus stellt damit mehr als nur eine religiöse Angelegenheit dar und bezeichnet metaphorisch die Meta-Ebene der Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Dabei zitiert Boehm neben Kant die philosophischen Größen des 20. Jahrhunderts vor allem jüdischer Herkunft und beleuchtet die philosophischen Folgen der Shoa. Die monotheistische Ethik steht für ihn über allen nationalen Gegebenheiten und ist im universalistischen Sinn für alle gültig.

Im zweiten Vortrag bei der Leipziger Buchpreis-Verleihung stellte er die Begriffe der Freundschaft und der Wahrheit einander gegenüber. Dabei zitiert er sowohl Lessing in „Nathan der Weise“, der Freundschaft und nicht Wahrheit als Basis des menschlichen Zusammenlebens bezeichnete, ähnlich wie bereits Aristoteles´ Aussage, Platon sei zwar sein Freund, aber die Wahrheit sei ein größerer Freund. Diese intuitiv irritierende Gewichtung wird wegen der Nähe der Wahrheit zur Ideologie im zweiten Denkschritt nachvollziehbar, doch Boehm geht noch weiter, wenn er feststellt, dass Freundschaft im Sinne Aristoteles` stets auf einer als solche erkannten Wahrheit beruhe. Wahrheit als Freundschaft und Freundschaft als Wahrheit beinhalten dann geradezu zwingend die Menschenwürde.

Letztere ist dann auch in Boehms letztem Vortrag auf dem Wiener Judenplatz – gegen aktivistische Demonstranten! – das zentrale Thema. Die „unantastbare Menschenwürde“ ist eins der wichtigsten Axiome internationaler Institutionen und sogar Teil des deutschen Grundgesetzes. Doch Boehm stellt klar, dass nicht nationale Gesetzgeber über diese Menschenwürde bestimmen können, auch wenn sie es tun, da eine solche Festlegung jederzeit widerrufbar wäre. Die Menschenwürde muss im Sinne eines unhintergehbaren Universalismus über jeglicher nationaler Souveränität stehen. Das schreibt Boehm im aktuellen Konflikt sowohl der palästinensischen Hamas als auch der israelischen Regierung ins Stammbuch, wobei ihm klar ist, dass ihm das einerseits als neo-koloniale Anmaßung (eines Weißen) und andererseits als Absage an die Souveränität einer Nation – Israel – vorgeworfen wird. Doch Boehm setzt sich bewusst zwischen diese beiden Stühle und verlangt von allen Beteiligten, die Menschenwürde als ein Axiom oberhalb aller nationalen, souveränen System zu akzeptieren und zu achten. Dass diese Forderung im aktuellen, um nicht zu sagen akuten Fall des Nahen Ostens (oder der Ukraine) vorerst im Raum verhallen wird, ist ihm klar, jedoch kein Grund, davon abzurücken.

Boehm bleibt in diesen Vorträgen seiner philosophischen wie politischen Behauptung eines ethischen Universalismus treu und behauptet seine Sicht mit stringenten und engagiert vorgetragenen Argumenten. Ein lesenswertes Buch und Pflichtlektüre für alle partikularen Aktivisten.

Das Buch ist im Propyläen-Verlag erschienen, umfasst 99 Seiten und kostet 14 Euro.

Frank Raudszus

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