Freunde der sonntäglichen „Tatort“-Serie werden Charly Hübner sicherlich nicht für einen sensiblen Intellektuellen halten. Zu sehr steht einer solchen Sicht der poltrige, stets etwas ungepflegte Kommissar Bukow im Weg. Und auch Hübners andere Film- und Fernsehrollen passen eher in dieses Raster.
Von diesen Vorurteilen muss man nach der Lektüre des vorliegenden Buches jedoch Abschied nehmen. Hier zeigt sich CHarly Hübner nicht nur als ausgesprochener Literaturkenner, sondern fast als ambitionierter Literaturwissenschaftler. Schon seine nonchalant hingeworfene Leseliste als immerhin politisch „eingeschränkter“ Jugendlicher der DDR ist beeindruckend, doch die Leselust, um nicht zu sagen -wut, hat sich nach der Wende offensichtlich ungebremst fortgesetzt.
In seinen Erinnerungen erwähnt er, dass ihn einmal jemand auf Uwe Johnson und dessen ganz besonderes Werk hinwies. Umgehend besorgte er sich die „Jahrestage“, was in der DDR bei einem abtrünnigen Autor nicht einfach war, und wurde zu seinem uneingeschränkten Bewunderer.
In seinem Buch geht Hübner auf Spurensuche nach der ganz speziellen Wirkung dieses Autor. Dabei verwendet er sinnigerweise die selbe Technik wie Johnson bei seiner Prosa. Laut Hübner und seinen durchaus nicht verleugneten vielfältigen Quellen hat Johnson aus Prinzip auf die Allmacht des Autors über seine Figuren verzichtet. Johnson habe nicht fertige Charaktere erschaffen, sondern gerade durch den Schreibprozess zeigen wollen, dass es diese in der Art der festgelegten Literatur nicht gibt. Der Mensch sei den anderen stets ein Rätsel, und jeder sehe seine Mitmenschen aus einer anderen Perspektive. Anhand vieler Beispiele zeigt Hübner anschaulich, wie Johnson seine Figuren aus der Sicht anderer Figuren charakterisierte, die oft sogar die Rolle eines fiktiven Erzählers einnahmen. Aber auch diese Erzähler, selbst wenn es vermeintlich emotional erkaltete Stasi-Mitarbeiter waren, entwickelten je eigene Sichtweise auf ihre Mitmenschen.
Auf diese Weise schillern die Johnsonschen Figuren auf nie eindeutige Weise, und es bleibt stets ein rätselhafter Rest. Hübner tut dasselbe mit Johnson, nur dass er hier unterschiedliche Literaturwissenschaftler zu Worte kommen lässt. Allen Kapiteln stellt er je ein Zitat eines dieser Experten voran, dessen Wortlaut er dann aus seiner eigenen Sicht kommentiert, ausdeutet und erweitert. Dabei verzichtet er jedoch auf jegliche akademische Attitüde und schreibt fast so wie Kommissar Bukow redet. Zwischendurch leistet er sich sogar saloppe bis flotte Sprüche, die dem Ganzen eine gewisse Hautnähe verleihen.
Und letztlich schaden diese Ausflüge ins Hemdsärmelige dem Buch gar nicht, ja, sie würzen es eher wie eine Prise Pfeffer ein Essen – was nicht heißen solle, dass Hübners Buch ohne diese Sprüche eine intellektuell fade Speise darstellt. Man hat sogar das Gefühl, dass er diese saloppen Ausflüge bewusst einstreut, um nicht den Eindruck angestrengter Intellektualität zu erwecken.
Wenn man die Lektüre dieses Buches beendet hat, hat man nicht nur viel über Uwe Johnson gelernt, sondern auch über Charly Hübner. Der Rezensent jeweils hat sich jedenfalls zweierlei vorgenommen: Charly Hübner nicht mehr mit Kommissar Bukow zu verwechseln und endlich einmal ein Buch von Uwe Johnson zum lesen.
Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag erschienen, umfasst 122 Seiten und kostet 20 Euro.
Frank Raudszus
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