Sebastian Guhr: „Der spanische Esel“

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Wer dieses Buch ohne Kenntnis des Waschzettels liest, lernt zu Beginn einen noch jungen Mann namens Luis kennen, der im Paris des frühen 20. Jahrhunderts ein prekäres Dasein als selbsterklärter Filmregisseur pflegt. Er lebt in einer winzigen Wohnung, und seine Freizeit gilt billigen Bordellen und Bars. In letzterer trifft er auch seinen Freund Ramón, bei dem eines Tages ein gewisser Dalí sitzt, den unser Luis aus vergangenen Tagen kennt und nicht mag. Jetzt stutzt der unwissende Leser, und den letzten Anstoß gibt der Verweis auf einen Film namens „Ein andalusischer Hund“, von Luis gedreht und umgehend zum Skandal erklärt. jetzt weiß man: es geht um Luis Bunuel, den berühmten surrealistischen Filmregisseur, und seine jungen Jahre vor dem Durchbruch. Wir sind im Jahre 1931, und Luis ist so alt wie das Jahrhundert.

Als Ramón plötzlich Geld gewinnt, soll Luis davon einen Film drehen. Man zieht also zu viert – es sind noch zwei Kameraleute dabei – in die ärmste Region Spaniens nach Las Hurdas, wo die Menschen in zerrissener Kleidung ums Überleben kämpfen und als einziges Kapital die Religion haben. Doch der Surrealist Luis läuft im Theaterkostüm eines Bischofs durch das Land und bringt die armen Leute gegen sich auf, die ihren einzigen Halt verspottet sehen.

Luis filmt die Armut, die Landschaft und alles, was ihm über den Weg läuft, allerdings ohne Plan und Konzept. Er ist der typische halt- und ziellose junge Mann um die dreißig, der vom großen Erfolg träumt, aber eben nur träumt. Das Geringste, das ihn zu diesem Film treibt, ist der Protest über die Armut der Menschen. In Sebastian Guhrs Roman – und die Gattung „Roman“ stimmt insofern, als die Dialoge fiktional sind – geht es nicht um soziale Probleme und die Rettung der Welt, sondern um die Befindlichkeit junger ehrgeiziger Männer, die sich von jedem bürgerlichen Habitus abgekoppelt haben, aber eher aus einem undeutlichen Lebensgefühl als aus ideologischen Gründen. Der Sozialismus jedenfalls wird in diesem Buch nicht einmal erwähnt.

Als nicht genug filmische Szenen zu finden sind, kauft Luis einem armen Bauern dessen Esel ab, nur um dessen brechende Augen nach dem Erschießen mit der eigenen Pistole zu filmen. Eine Bergziege schießt er von einem Felsvorsprung, damit seine Kameramänner ihren Sturz in die Tiefe filmen. Man kann sich vorstellen, was solche Szenen heute bei Bekanntwerden für – berechtigte – Shitstürme entfachen würden. Als die Bergbewohner daraufhin zum angriff übergehen, springen die drei Männer – Ramón hat die Truppe schon vorher aus Protest verlassen – ins Auto und fahren heim, um dort den Film fertigzustellen.

Dass der Film als Anklage gegen die sozialen Verhältnisse sofort ein Riesenerfolg wurde, wird hier nicht mehr thematisiert. Der Autor wollte offensichtlich in dieser Novelle – denn die Bezeichnung trifft eher zu – den Surrealismus offensichtlich seiner idealisierenden Verklärung berauben und eine ungeschminkte Darstellung geben. Man darf annehmen, dass er dafür umfangreich recherchiert hat und sein Roman zwar fiktive Dialoge, aber reale Charaktere wiedergibt.

So gesehen ein lesenswertes Buch, das man an einem Abend durchliest. Es ist im Berenberg-Verlag erschienen, umfasst 87 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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