George Saunders: „Tag der Befreiung“

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Saunders, dessen Roman „Lincoln in Bardo“ wir hier bereits besprochen haben, setzt sich in seinem Erzählband „Tag der Befreiung“ mit der amerikanischen Gesellschaft auseinander. Er beschreibt dystopische Familien und ihre Art, immer wieder etwas Positives aus chaotischen Situationen herauszufiltern.

Ein Großvater schreibt einen Brief berührenden Inhalts an seinen Enkel und versucht, wieder Kontakt mit dem Jungen aufzunehmen. Zwischen den Zeilen hört man Warnungen, Wehmut und Traurigkeit des älteren Mannes heraus, der den Jungen allzu gerne wieder treffen würde, ohne Druck auf ihn auszuüben.

Krass ist die Geschichte über einen unterirdischen Vergnügungspark. Hier werden Krieg und Hölle derart realistisch gespielt, dass es kaum zu ertragen ist.

„Mein Haus“ erzählt von einem Hausverkauf, bei dem sich Käufer und Verkäufer so nahe kommen, dass sie fast gute Freunde werden. Das Haus selbst atmet die Geschichte vieler Generationen. Einst gab es einen großen Obstgarten, der jedoch durch eine seltene Krankheit alle Früchte verlor. Und die Ehefrau des Verkäufers liegt schwerkrank in einem verschlossenen Zimmer des Hauses. Alles atmet Niedergang, aber das Ehepaar lebte hier wie im Paradies, und die Trennung von dem Haus „bringt mich um – der Gedanke, dass ich diesen Ort für immer verlieren werde“ – so der Besitzer. Bei dem Käufer löst das ähnliche Gedanken über seine Gefühle bei einem eventuellen späteren Verkauf aus. Die beiden werden handelseinig, doch dann macht der Verkäufer einen Rückzieher und ist selbst bei einer deutlichen Erhöhung des Angebots nicht mehr zum Verkauf zu bewegen. Beim Käufer breitet sich Unverständnis aus, zumal die Ehefrau bald verstirbt und das Haus Stück für Stück zusammenzubrechen scheint. Briefe bleiben unbeantwortet, und alle Fragen bleiben offen. Schließlich beschimpft der Käufer in einem letzten Brief den Verkäufer mit wüsten Worten, doch auch das hilft nichts. Diese Geschichte bleibt offen und steht daher umso mehr als Metapher für die amerikanische Gesellschaft aus Sicht des Autors.

Diese Geschichte zeigt exemplarisch, wie Saunders die Emotionen ausreizt, bis die Protagonisten ihr wahres Ich zeigen. Wie schnell aus einem freundlichen Umgangston Hass werden kann. „Stolz, Lebendigkeit und Ego“ bäumen sich auf, doch von ferne naht Verständnis und Vergebung – wenn auch mit einiger Verzögerung.

Das Buch ist im Luchterhand-Verlag erschienen, umfasst 320 Seiten und kostet 25 Euro.

Barbara Raudszus

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