Vigdis Hjorth: „Ein falsches Wort“

Print Friendly, PDF & Email

Die Ich-Erzählerin Bergljot hat sich völlig aus ihrer Familie herausgezogen. Sie wünscht keine Kontakte mehr zu ihren Eltern und ihren zwei jüngeren Schwestern. Auch zu ihrem Bruder hat sie wenig Kontakt. In ihrer Kindheit ist irgendetwas nicht Aussprechbares geschehen, das jahrelang im Verborgenen in ihr ruhte und erst im reiferen Alter ausbrach. Verschiedene Therapien konnten ihr nicht helfen, brachten aber aus ihrem Innersten etwas nach oben, das von beiden Elternteilen totgeschwiegen wurde. Niemand wollte mit ihr darüber reden oder gar eine Schuld eingestehen. Man unterstellte ihr schlicht Hysterie. So sieht sie ihre einzige Chance darin, alle Kontakte zu ihrer Familie abzubrechen.

Sie heiratet und zieht zwei Kinder groß, verlässt ihren liebenswerten Mann, den sie mit einem verheirateten Professor betrügt. Dieser sollte ihre Rettung sein, doch irgendwann wird diese Beziehung für beide zerstörerisch, und sie trennen sich. Der Ausspruch der Autorin Tove Ditlevsen „Die Straße meiner Kindheit ist die Wurzel meines Seins“ trifft den Nagel auf den Kopf. Die Schuld der Eltern, die in ihr gärt, lässt sich immer weniger verdrängen. In ihr ist keine Liebe und keine Sehnsucht mehr zur Mutter. Die Familie betrachtet diesen Mangel an Liebe und Sehnsucht als einen seelischen Defekt. Die Geschwister wissen nicht damit umzugehen, empfinden die Älteste als anstrengend und zerstörerisch. Beide Elternteile wenden sich daraufhin den jüngeren Schwestern zu. Als es dann schließlich ums Erben geht und die Eltern zwei Strandhäuser an die Schwestern vererben, ohne einen fairen Ausgleich für den Sohn und Bergljot zu vereinbaren, ist der offene Konflikt mit allen da.

„ein falsches Wort“ ist eine spannend zu lesende Abhandlung über die Folgen des Kindesmissbrauchs. Die Protagonistin versucht verzweifelt, für ihre Geschichte Gehör zu finden, wird jedoch immer wieder abgewiesen. Sie verzweifelt daran und sieht den Abbruch aller Kontakte als letzte Chance; das funktioniert jedoch nicht, da ihre Geschwister bei den zunehmenden Krankheiten der Eltern immer wieder den Kontakt zu ihr suchen. Die Autorin Vigdis Hjort versteht es, Bergljots Dilemma, aber auch das der Eltern und Geschwister so intensiv darzustellen, dass man als Leserin tief in diesen Konflikt hineingezogen wird.

Das Buch ist im Verlag S.Fischer erschienen, umfasst 397 Seiten und kostet 25 Euro.

Barbara Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar