Reinhard Ernst war jahrzehntelang Unternehmer in der Hochtechnologie und lernte in seinem Berufsleben die Welt kennen, vor allem die USA und Japan. Soweit typisch für einen Hightech-Industriellen – doch privat galt seine Liebe – nicht unbedingt typisch für einen Technik-Freak – der abstrakten Kunst. Über Jahrzehnte sammelten sich so, anfangs in seinem Haus und später leider zunehmend in Depots, immer mehr Werke der modernen Kunst. Doch Ernst war schon immer der Meinung, Kunst sei eine Sache der Öffentlichkeit und diene nicht der Erhöhung des Egos reicher Kunstfreunde. Auf seine fast verzweifelte Frage an den damaligen Städel-Direktor Max Hollein nach Ausstellungsfläche antwortete dieser in seinem unnachahmlichen Wiener Humor, da müsse er sich wohl ein eigenes Museum bauen. Gesagt getan: nach dem – offensichtlich sehr erfolgreichen – Verkauf seines Unternehmens gründete Ernst zusammen mit seiner Frau eine Stiftung zum Zwecke eines Museums für moderne Kunst – und damit auch für seine Bilder. Sein im Unternehmerdasein gestählter Ehrgeiz verbot ihm jedoch, irgendein bestehendes – selbst museales? – Gebäude aufzukaufen und dort seine Bilder aufzuhängen. Nein, es musste etwas Besonderes sein, und das setzte Ernst mit Beharrlichkeit und Kreativität in die Tat um. Und dabei stand stets die Überzeugung im Vordergrund, mit einem solchen Museum der Gemeinschaft zu dienen und den Gemeinsinn zu fördern.
Schon bei der Ortswahl kannte Ernst keine Kompromisse. In der Landeshauptstadt Wiesbaden kam nur die Wilhelmsstraße – DIE Straße überhaupt – in Frage, und dort befand sich zum Zeitpunkt der Überlegungen auf dem Platz der symbolträchtigen Hausnummer „1“ ein banaler Parkplatz, der Künstlern höchstens als Foto-Objekt für heruntergekommene Stadtkultur hätte dienen können. Wie er es schaffte, dieses Grundstück für seine Museumsinsel zu erwerben, wäre sicher eine eigene Erzählung wert, stand aber bei der Eröffnung nicht auf der Tagesordnung.
Doch die Adresse reichte nicht, auch das zu erstellende Gebäude sollte ein künstlerisches Signal setzen. So konnte Ernst dank seiner Japan-Kontakte den berühmten Architekten Fumihiko Maki für diese Aufgabe gewinnen. Drei Jahre lang planten die beiden Perfektionisten – man fragt sich, wer von beiden in dieser Disziplin führte – das Gebäude bis ins letzte Detail durch, nur um beim Bau festzustellen, dass manches halt doch nicht planbar war oder schlicht an praktischen Hürden scheiterte. Noch am Tage der Pressekonferenz schliffen Handwerker die – künstlerisch ambitionierten – messerscharfen Kanten der Treppen ab, weil das sonst später die Absätze der Stöckelschuhe auf unschöne Weise getan hätten. Reinhard Ernst schilderte die Akribie der beiden Planer und die alltägliche Realität mit einem Humor, der an Trockenheit kaum zu überbieten war. Und sein so freier wie souveräner Vortrag strafte die Behauptung Lügen, er habe an diesem Morgen sein Manuskript zu Hause vergessen. Er brauchte einfach keins!
Das Ergebnis dieser achtjährigen Entstehungszeit überwältigt den Besucher. Hier stimmt alles. Das Licht flutet von allen Seiten in das Gebäude, die Sichtachsen in die Stadt setzen sich im Gebäude bis zu den Fugen der Steine fort, und die wechselnden Raumhöhen verleihen jedem Ausstellungsraum seinen ganz eigenen Charakter. In die Höhe wachsende Kunstwerke verlangen nach einem hohen Raum, in die Breite sich ausdehnende eher niedrigere, aber weite Wände. Die Treppenhäuser sind keine „Nutzflächen“, sondern selbst künstlerisches Element eines durchgestalteten Hauses und wirken auch ohne abstrakte Exponate wie Kunstwerke eigener Definition. Wo man auch hinschaut, wirkt alles abgerundet und in sich geschlossen – und gleichzeitig offen! Es gibt keine im Laufe des Baus entstandenen, mit Alibifunktionen versehenen „Verlegenheitsecken“, sondern alles wirkt funktional und dennoch großzügig und selbstverständlich. Es erinnert an die seltene Fähigkeit großer Solo-Musiker, die schwierigsten Passagen ganz einfach und natürlich erscheinen zu lassen.
Ach ja, Kunst wird hier natürlich auch ausgestellt, und da zu nahmen Gründungsdirektor Dr. Oliver Kornhoff und Kuratorin Lea Schäfer in ebenso launigen wie freien Präsentationen Stellung. Natürlich steht Reinhard Ernsts Sammlung abstrakter Kunst im Mittelpunkt, und da fällt zum Ersten die großzügige, fast verschwenderische Hängung auf. Wände sind nicht nur Ausstellungsflächen sondern in gewisser Weise selbst Exponate, da sie mit den Bildern kommunizieren, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt. Und das ist in diesem Museum der Fall. Die einzelnen Räume sind nach Themen gruppiert und mit entsprechenden Namen versehen, etwa „Farbe hoch drei“. Jeder dieser Namen fasst die den in dem jeweiligen Raum gezeigten Werken gemeinsamen Eigenschaften zusammen und bildet damit ein Motto.
Die Gründungssammlung – wenn man sie so nennen will – zeigt unter dem Titel „Farbe ist alles!“ herausragende Werke der abstrakten Kunst nach 1945 in den USA, Japan und Europa und läuft voraussichtlich bis 2027. Die Folgeausstellung befindet sich bereits jetzt in der Vorbereitung, aber darüber wollte Direktor Kornhoff verständlicherweise nichts verraten.
Die Stadt Wiesbaden hat mit diesem neuen Museum ein echtes Juwel direkt nebem dem Museum Wiesbaden erhalten, und letzteres wird sich warm anziehen müssen, um hinsichtlich der Attraktivität nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Weiter Details sind über die Webseite des Museums zu erhalten.
Frank Raudszus
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