Ich war gespannt auf den Roman „Zuleika“ von Bernadine Evaristo. Nachdem ich von dem 2021 auf Deutsch erschienenen Roman „Mädchen, Frau etc.“ so begeistert gewesen war, waren meine Erwartungen hoch. Leider wurden sie enttäuscht. So komplex und differenziert die Erzählungen in „Mädchen, Frau etc.“ über mehrere Generationen von Migrantenfamilien in Großbritannien sind, so eindimensional ist die Geschichte von „Zuleika“ erzählt. Das mag daran liegen, dass „Zuleika“ unter dem Titel „The Emperor’s Babe“ bereits 2001 in Großbritannien erschienen ist. Es ist also kein neuer Roman, wie ich erwartet hatte, sondern er gehört zu Evaristos frühen Veröffentlichungen. Die 1959 als Kind einer britischen Mutter und eines nigerianischen Vaters in London geborene Evaristo veröffentliche 1994 ihren ersten Gedichtband, 1997 dann den Versroman „Lara“. „Zuleika“, auch ein Versroman, ist ihre dritte Veröffentlichung.
Evaristos großes Thema ist die Situation der Menschen mit Migrationsgeschichte in Großbritannien, insbesondere der farbigen Frauen.
Darum geht es auch in „Zuleika“. Der Roman spielt im Jahr 211 nach Christus. Wir befinden uns im Römischen Reich unter Kaiser Septimius Severus im von den Römern besetzten London.
Großbritannien ist eine römische Kolonie, in der es eine multikulturelle Gesellschaft gibt. Einwanderungen aus anderen Ländern des Römischen Reiches sind keine Seltenheit.
So ist auch die Familie von Zuleika, der Hauptfigur des Romans, aus Nubien, dem heutigen Sudan, nach Norden gewandert. Der Vater, ein freier römischer Bürger, hat sich als Händler in London niedergelassen. Wirtschaftlich sind die Verhältnisse sehr bescheiden, irgendwie kommt man durch.
Da ist es naheliegend, mit der 11-jährigen Tochter ein gutes Geschäft zu machen. Als Dunkelhäutige ist sie für einen reichen, weißen Kaufmann sehr attraktiv. Der Vater verkauft seine Tochter für gutes Geld und großzügige Unterstützung bei seinen Geschäften. Für ihn lohnt es sich, er wird selbst reich und genießt als „Neureicher“ seinen neuen Status. Dass die Familie farbig ist, scheint für niemanden ein Problem zu sein.
Anders ist es, wenn man eine Frau ist. Die kleine Zuleika führt äußerlich ein Leben in Luxus. Sie gewöhnt sich sehr schnell daran, Bedienstete zu haben, die meist unfreie Sklaven sind. Hinter dem äußeren Luxusleben verbirgt sich für Zuleika ein einsames Leben, das sie aus ihren bisherigen familiären und freundschaftlichen Bindungen herausgerissen hat. Ihre Aufgabe ist es, den Reichtum des Mannes zu repräsentieren, ohne irgendwelche Ansprüche an Zuneigung oder gar Liebe zu stellen. Sie hat zur Verfügung zu stehen, wenn er anwesend ist, was jedoch nicht allzu häufig der Fall ist. Es ist ganz offensichtlich normal, dass die Männer an verschiedenen Orten andere Frauen haben. Zuleika ist ein weiteres „Schmuckstück“, das sich ihr Mann zugelegt hat.
Positiv für Zuleika ist, dass ihr Mann ihr alle Möglichkeiten der Bildung gibt, sodass sie sich zunehmend in der römischen Literatur auskennt. Mit dem Bildungsfortschritt spürt sie den Drang, zu dichten und auf diese Weise eine Ausdrucksform für ihre Lebenssituation zu finden.
Von daher ist es durchaus plausibel, dass Evaristo die Geschichte aus Sicht Zuleikas in Versen erzählen lässt. Das führt zu einer sprachlichen Verdichtung, die die Autorin vor Geschwätzigkeit bewahrt.
Wir erfahren von Zuleikas innerem Drang zu schreiben und von ihrer Hoffnung auf Liebe und sexuelle Erfüllung. Beides erfährt sie in der Ehe nicht.
Als der Kaiser Septimius Severus in London weilt, gelingt es ihr, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Sie ist angezogen von seiner vitalen Männlichkeit und verspricht sich die große Erfüllung. Die erfährt sie durchaus sexuell, aber als Person bleibt sie für den Kaiser genauso unwichtig wie für ihren Ehemann. Der Kaiser formuliert es ganz unverblümt, dass eine Frau für ihn ein angenehmes „Spielzeug“ ist, bis auf vielleicht die Ehefrau mit den Söhnen in Rom.
Darin erschöpft sich auch schon die Botschaft des Romans. Die Frauen sind, wie in der Gegenwart, immer noch den Männern ausgeliefert ohne die Möglichkeit, sich selbst durch eigenes Handeln profilieren zu können. Sie sind in erster Linie Sexualobjekte, ganz unabhängig von der Hautfarbe. So wird Zuleika auch keine Dichterin werden. Die anderen jungen Mädchen, die ihre Bediensteten und gleichzeitig auch Vertrauten sind, haben ebenfalls illusionäre Zukunftsvisionen. Sie träumen von dem einen Mann, der sie liebt und ihnen eine bürgerliche Existenz verschaffen wird. Dass auch sie nur Objekte für ihre Männer sein werden, erkennen sie nicht.
So entgehen weder die reichen noch die armen Mädchen ihren Frauenschicksalen. Zuleikas Abenteuer mit dem Kaiser nimmt einen fatalen Ausgang.
Für 2001 vielleicht noch ein Thema, das damals aufrüttelte, heute nach der Me-Too-Debatte ist das Thema in dieser Eindimensionalität sattsam abgearbeitet.
Formal experimentiert Evaristo mit der sprachlichen Darstellung, indem sie in Zuleikas Versen verschiedene Sprachebenen und Zeitebenen miteinander verschränkt. Da fließen in Zuleikas Reden immer wieder lateinische Worte ein, die die lateinerfahrene Leserin meist ohne Probleme versteht, nicht aber jemand, die oder der gar kein Latein kann. Auf dieser Ebene wirkt die Sprache elitär, um dann aber in heutige Alltagssprache zu springen, entsprechend ins Deutsche übertragen, bis hin zu vulgären sexuellen Bezeichnungen und Beschreibungen sexueller Akte. Auch die Begrifflichkeit des modernen kapitalistischen Wirtschaftslebens wird in den römischen Zusammenhang eingebaut. Der Hinweis könnte deutlicher nicht sein: Seht her, liebe Leserinnen, auch die Antike war nur vom Geld und vom Profitinteresse beherrscht. Es hat sich bis heute nichts geändert, die Frauen sind die Opfer dieser Welt. Wenn sie gegen deren Regeln verstoßen, werden sie ausgestoßen und ersetzt.
Mir ist das zu wenig. Ich habe mich mit fortschreitender Lektüre zunehmend gelangweilt. Es ist die Frage, ob der Verlag Bernadine Evaristo einen Gefallen damit getan hat, diesen frühen Roman aus der Versenkung zu holen. Denn heute kann Evaristo viel mehr.
„Zuleika“ kann ich nicht als Lektüre empfehlen, wohl aber an dieser Stelle noch einmal „Mädchen, Frau etc.“.
Der Roman ist in der Übersetzung aus dem Englischen von Tanja Handels im Tropen Verlag erschienen. Er hat 263 Seiten und kostet 25 Euro.
Elke Trost
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