Wir Deutschen kategorisieren gerne alles, vor allem im verunsichernden Bereich der Ästhetik, speziell der Musik. E- und U-Musik, Pop, Rock, Hip-Hop und Jazz sind solche Schubladen, die scheinbar ein je eigenes, disjunktes Profil aufweisen. Bis dann plötzlich eine Gruppe aktiver Musiker solch eine Kategorisierung – frech! – einfach über den Haufen wirft.
So ging es dem Publikum im 5. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt, in dem der aus Darmstadt stammende Trompeter Simon Höfele sowie das „Frank Dupree Trio“ die Grenzen zwischen – allerdings moderner – E-Musik und dem Jazz verwischte. Allerdings muss das – für ein Kammerkonzert ausgesprochen zahlreich erschienene – Publikum etwas geahnt haben, denn es war von Anfang an begeistert bei der Sache.
Simon Höfele ist als Trompeter gerade im klassischen Bereich mehr als erfolgreich, wie man der umfangreichen Liste seiner Auftritte entnehmen kann. Das Dupree Trio ist dagegen für seine Gratwanderungen zwischen den Gattungen bekannt, und man merkt von der ersten Minute, dass der Sog auf der jazzigen Seite des Grates deutlich stärker als auf der klassischen ist, ohne dass es zu einem fatalen Absturz kommen muss. Und ein solcher wäre auch nicht letal!
Allen vier Musikern – das Trio besteht aus Frank Dupree(p), Jakob Krupp(b) und Obi Jenne(dr) – stand die Spielfreude von Anfang an ins Gesicht geschrieben. Den für klassische Ensembles obligatorischen Ernst suchte man hier vergebens, lachten die vier Musiker doch von Beginn an während und neben dem Spiel gerne und viel. Darüber hinaus übernahmen Simon Höfele und Frank Dupree ungezwungen und in professionell lockerer Art die Ansprache des Publikums, die man bei klassischen Gruppen eher selten antrifft.
Aber neben der Moderation wurde auch Musik gespielt, und zwar viel und mit Verve und Witz. Es begann gleich mit einer Programmänderung, als Höfele und Dupree ein Stück von Daniel Schnyder anstatt von John Cage spielten, das die typische Grundstimmung moderner (Jazz?-)Musik des späten 20. Jahrhunderts wiedergab: schwebende Melodielinien unterkühlter Harmonik, die das Flair eines windstillen, grauen Novembervormittags ohne die Spannungselemente der klassischen Harmonie verbreiteten. So wie Beethovens späte Sonaten eine eigene, hermetische Emotionslandschaft eröffnen, tun es auch diese Stücke auf eine ganz andere Weise.
Höhepunkt des ersten Teils war eine Variationenfolge von Nicolai Kapustin über Strawinskys „Sacre du Printemps“, von dem Dupree-Trio höchst virtuos und mit unüberhörbarer Spielfreude intoniert. Die Nähe zum Jazz ist nicht zu überhören oder geht sogar in eine enge Symbiose über. Hier glänzte vor allem Frank Dupree mit seinen weitgehend freien Improvisation, die das Klangvolumen des Flügels voll ausnutzten.
Anschließend präsentierten Höfele und Dupree noch eine viersätzige Sonate für Trompete und Klavier von Daniel Schnyder, bei der der Trompeter höfelich darauf hinwies, dass der Komponist bei einem Konzert als deutlichen Applausgenerator einen Revolver auf dem Flügel zu drapieren pflegte. Der Aufbau dieser modernen Sonate erinnerte mit seinen Anklängen an „Adagio“ (2.),“Scherzo“(3.) oder „Rondo“(4.) durchaus an das klassische Vorbild.
Die zweite Hälfte näherte sich dann noch deutlicher dem Pop und Jazz an. Nach Frank Zappas rhythmisch und thematisch ausschweifendem „The Black Page“ für Trio mit Trompete einschließlich ausgedehntem Schlagzeugsolo bildete Elvis Costellos Jazz-Nummer „Almost Blue“ einen so introvertierten wie intensiven Gegensatz. Brett Deans „…The scene of crime…“ für die gleiche Besetzung wirkte dagegen wie „free Jazz“ und bestach vor allem durch die extremen Klang- und Rhythmuseffekte.
Auch diese Hälfte hatte ihren „Aha-Moment“, und zwar mit den beiden Stücken „Cool“ und „Mambo“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“. Bei letzterem wurde sogar das Publikum – erfolgreich!“ – als „Mambo-Shouter“ eingebunden (für Experten: Takt 49 und 73).
Den Abschluss bildete Roy Hargroves Jazz-Klassiker „Strasbourg-St.Denis“, der zu den introvertierten Stücken mit verhaltener weil meist gedämpfter Trompete gehört. Nach den rhythmisch energischen Vorgängern ein eher sanfter, aber deswegen nicht weniger intensiver Ausklang.
Der Beifall des Publikums zeigte, dass an diesem Abend viele Jazz- (und Pop-)Fans gekommen waren, denn er steigerte sich schnell zu rhythmischen „standing ovations“, die noch zwei Zugaben zur Folge hatten. Eine war besonders bemerkenswert, da das Ensemble ein vorgegebenes Stück dreimal nacheinander spielte: einmal instrumental, wie erwartet, einmal „a capella“ durch einen vierstimmigen Männerchor und einmal als stimmlose Pantomime einer verrückten Band. Ein Heidenspaß zum Abschluss eines mehr als gelungenen Konzertabends.
Frank Raudszus
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