Nach Marcus Willascheks „Kant“ gleich noch ein Buch über den größten(?) deutschen Philosophen, dieses Mal jedoch als Roman, der die Kant-Umgebung aufs Korn nimmt.
Kant lebte Zeit seines Lebens ehelos in Königsberg, und den größten Teil dieser Zeit mit seinem Diener Lampe, den er zwei Jahre vor seinem eigenen Tod wegen angeblicher Trunksucht entließ. Diese Begründung ist natürlich „durch neutrale Stellen“ nicht belegbar, und ermöglicht es dem Autor des vorliegenden Buches so, die Dinge etwas anders zu schildern.
Heidenreich, selbst Philosoph, bildet in seinem Buch ein Dreieck aus Kant, der jedoch vorwiegend in der Rückblende erscheint, seinem Diener Lampe und seinem langjährigen Freund Wasianski, seines Zeichens Theologe. Wasianski ist bekannt als Kants „Amanuensis“(Schreibgehilfe) und Nachlassverwalter und hat diese Tätigkeit wohl auch intensiv für die Beeinflussung Kants in seinem Sinne genutzt. Bei Heidenreich jedenfalls entpuppt er sich als äußerst unangenehmer, geradezu parasitärer Charakter, der mehr oder minder subtil Kants Leben bis ins letzte Detail manipuliert. So war er gegen jegliche eheliche Bindung Kants wegen eines zu befürchtenden Nachlassens der philosophischen Schaffenskraft. Auch dessen sonstigen Interessen wusste er systematisch zu sabotieren, um jegliche Ablenkung von seinen philosophischen Arbeiten zu vermeiden. Heidenreich stellt ihn unterschwellig sogar als jemanden dar, der die Frustration über die eigene Mediokrität in die möglichst vollständige Manipulation des wesentlich Begabteren umleitet, um dadurch im Selbstbild zum eigentlichen Schöpfer der Ikone Kant und dessen Werke zu werden. So durchsucht er nach dem Tode Kants dessen Wohnung und entfernt alle späten Notizen des Philosophen, die sein großes Werk – hier vor allem „die Kritik der reinen Vernunft“ – nachträglich in Frage stellen könnten.
Lampe wiederum ist in Heidenreichs Roman schwer gekränkt durch Kants herablassende Art gegenüber dem schlichten „Empiristen“ an seiner Seite, an dem er wie an einem Versuchstier alle seine höheren Ideen und Begriffe belegen kann. So sinnt Lampe auf Rache, übt sich im Lesen, studiert zunehmend philosophische Bücher einschließlich Kants und weist während der gemeinsamen Mittagessen mit Kants Freundeskreis gerne durch scheinbar einfältige Bemerkungen auf Widersprüche in Kants Ausführungen hin. Wenn etwa Kant die Überlegenheit der Begriffe über die bloße Anschauung anführt, fragt Lampe schon mal vor versammeltem Kreis, ob man nicht ins Wasser müsse, wenn man Schwimmen lernen wolle. Diese Bemerkungen bringen Kant zunehmend in Rage, und man kann sich durchaus vorstellen, dass der Grund zur Kündigung hier lag.
Auch das Junggesellentum Kants sieht bei Heidenreich etwas anders aus als in der offiziellen Darstellung. Eine junge Adlige schwärmt nicht nur für seine Philosophie und nimmt auch an den gemeinsamen Essen teil. Kant scheint nicht abgeneigt, aber Wasianski ist strikt dagegen, und eines Tages stürzt die junge Frau nach dem gemeinsamen Essen die Treppe hinab und zieht sich schwerste Verletzungen zu. Wasianski „entdeckt“ die Verunglückte als Erster(!), und sie betritt nie wieder Kants Haus. Kant entscheidet sich nach diesem Vorfall für ein ausschließlich der Philosophie gewidmetes Leben, Lampe jedoch macht sich seinen eigenen Vers darauf. Der Roman endet dann mit einer Pointe zugunsten Lampes, die wir hier nicht verraten wollen.
Heidenreich hat mit diesem Roman ein ausgesprochen geistreiches Buch vorgelegt, das philosophische Überlegungen und Begriffe mit dem Leben ihres Schöpfers und seiner Umgebung verschränkt und dabei auch psychologische und gesellschaftliche Themen des 18. Jahrhunderts wie Adel, Intellektuelle und Dienstpersonal abhandelt.
Das Buch ist im Wallstein-Verlag erschienen, umfasst 249 Seiten und kostet 22 Euro.
Frank Raudszus
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