Der Kunst – speziell dem Kunsthandel – wird heute von einschlägiger Seite oft die Kapitulation vor dem Kapitalismus vorgeworfen. Frei nach Adorno sei das Kunstwerk zur Ware verkommen und werde nur noch an seinem Tauschwert gemessen. Diese Kritik unterstellt, dass es früher anders war und das Kunstwerk nur gemäß seinem „inneren“ Wert geschätzt wurde – worin immer dieser bestanden haben mag. Doch gerade die neue Ausstellung des Städelmuseums zeigt, dass die „Tauschwert“-Theorie bereits vor einem halben Jahrtausend durchaus eine praktische Relevanz besaß.
In Augsburg saßen vom 14. bis ins 16. Jahrhundert die Fugger, die nicht nur als reiche Handelsleute finanzielle Macht ausübten, sondern auch und besonders als Finanziers und Mäzene, also schon damals derselben Spur wie heutige Kunsthändler und Investoren folgten. Um die Fugger entwickelte sich schnell ein prosperierendes Bürgertum, das seinen Wohlstand natürlich auch zeigen wollte, und in Ermangelung der heutigen Statussymbole tat man das damals mit Kunst, wobei natürlich neben den religiösen Themen das Familienportrait in allen Varianten eine wesentliche Rolle spielte. Da versteht es sich von selbst, dass es begabte Künstler in diese Stadt zog, wenn sie nicht direkt von den Kunden dorthin geholt wurden.
Hans Holbein d. Ä. (der Ältere) (1464-1524) und Hans Burgkmair d. Ä. (1473-1531) waren die beiden Zentralfiguren dieses Augsburger Künstlerkreises, und sie begründeten im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert die „Renaissance des Nordens“, wie die Augsburger Schule in Abgrenzung von der italienischen – und „eigentlichen“ – Renaissance gerne genannt wird. Holbein und Burgkmair hatten sich sowohl an der niederländischen Kunst als auch – etwas später – an der italienischen Kunst orientiert, und so lassen sich die Einflüsse dieser beiden Stilrichtungen in vielen Bildern nachvollziehen.
Begünstigt durch den Wohlstand der Fuggerstadt schufen die beiden Künstler eine Reihe von Heiligenbilder und Bürgerportraits, die als richtungsweisend für die Epoche gelten. Die Zeitgenossen von Albrecht Dürer konkurrierten auf Augenhöhe mit diesem und zeichneten sich nicht nur durch ihre ausgesprochen hohe Realitätsnähe aus, sondern vor allem durch den ganz persönlichen Ausdruck, den sie ihren Figuren verliehen. Die Zeit der flächigen, ikonenhaften Menschenabbildungen, vor allem im religiösen Kontext, war noch nicht lange her, und jetzt schauten lebendige Menschen mit einer ganz eigenen, ungeschönten Subjektivität den Betrachter aus den Bildern an und schienen mit den Betrachtern reden zu wollen. Wer sich diese Bilder heute anschaut, fühlt sich heute an den Naturalismus des 19. Jahrhunderts erinnert, wenn man einmal von dem Kleidungsstil absieht. Nur die religiösen Bilder zeichnen sich noch durch idealisierte Figuren aus. Den Renaissancecharakter erkennt man dann an den Landschaftsausschnitten, die sich durch eine Fensteröffnung zeigen, oder an den Säulen im nahen Hintergrund, wie man sie von der Italienischen Renaissance kennt.
In der von Holbein d. Ä. und Burgkmair etablierten Augsburger Kunstszene fand Holbeins Sohn Hans (1497-1543) – „der Jüngere“ genannt – ein ideales Betätigungsfeld vor und nutzte diese Chance dank seines vom Vater ererbten Talents in vollen Zügen. Dabei ließ er sich noch stärker von der venezianischen Renaissance beeinflussen und setzte den Arbeiten der Vätergeneration die Krone auf. In der Städel-Ausstellung glänzt er vor allem durch das Gemälde „Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“, das den Titelgeber in anbetender Haltung vor der Jungfrau Maria mit Jesusknaben und mit seinen beiden Ehefrauen und einer Tochter zeigt.
Dieses Bild weist neben seinem unbestrittenen künstlerischen Wert noch eine besondere Bedeutung für das Städel und das Land Hessen auf. Der Stiftung der ehemaligen Darmstädter Herrscherfamilie gehörend, hing es erst lange Zeit im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (HLMD) und wurde dann wegen der dortigen Umbauarbeiten an das Städel ausgeliehen. Ein länger schwelender politischer Streit um den permanenten Standort endete mit dem Verkauf durch die Stiftung an die „Sammlung Würth“ in Baden-Württemberg, was die hessischen Institutionen schwer traf. Nun hat die Sammlung Würth die Madonna für die Städel-Ausstellung ausgeliehen, und das Museum darf sein langjähriges Juwel wieder in seinen Räumen dem Publikum zeigen.
Besucher sollten jedoch, trotz der Fokussierung der Berichterstattung, ihr Interesse nicht nur auf dieses Bild richten. Die Ausstellung bietet ein weites Feld von Kunstwerken aller Arten, von der Zeichnung über Radierungen und Holzschnitte und – natürlich! – Gemälde bis hin zur Skulptur, aus der Epoche der „Renaissance des Nordens“, wobei auch andere künstlerische Zeitgenossen ihren Platz finden. Das ermöglicht vielfältige Vergleiche und zeigt, dass es zu dieser Zeit nicht nur die wenigen herausragenden Künstler wie Holbein gab, sondern viele andere, nicht minder begabte. Der große Erfolg war auchdamals oft eine Frage der Selbstvermarktung, der Nähe zum „Markt, und eben des Glücks. Ganz wie heute!
Die Ausstellung ist noch bis zum 18. Februar 2024 geöffnet. Näheres ist der Webseite des Städelmuseums zu entnehmen.
Frank Raudszus
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