Ein leerer Bühnenraum begrüßt das Publikum des Großen Hauses zur Aufführung von „Last Work“ des Israelis Ohad Naharin – groß und tief. Im Hintergrund läuft eine junge Frau im blauen Kleid mit weit ausgreifenden Schritten in einem konstanten Rhythmus. Rechts und links der Bühne Laufboxen wie bei einem Pferderennen, aus denen einzelne Tänzer oder Tänzerinnen heraustreten: mal gekrümmt, mal gerade, vorsichtig tastend sich und den eigenen Körper spürend, aber auch einsam in der weiten Leere der Bühne. Ein weiterer Tänzer streckt sich, versetzt seinen Körper in Bewegung und schaukelt sich selbst auf. Weitere Menschen kommen dazu, sind nur mit sich, ihren eigenen Körpern, ihrer eigenen Orientierung beschäftigt. Voneinander nehmen sie keine Notiz, auch nicht von der Tänzerin im blauen Kleid, die ihr Lauftraining für die gesamte Dauer der etwa einstündigen Choreografie absolvieren wird.
Eine Gruppe baut sich auf, die wie ein einziger Organismus wirkt. Alle klammern sich aneinander, wollen nicht verloren gehen, bleiben im engen Zusammenhalt. Dann brechen zwei Personen aus und destabilisieren damit die Gruppe.
Dann liegen alle Tänzer wie hingemäht am Boden. Einzelne recken wie im Krampf Hände und Arme, suchen Halt, der nicht da ist. Dazu ertönt ein fast religiöser Gesang. Beine, Arme, alles gerät in Bewegung, strampelt sich frei und versucht, durch Aktionen sich und die Welt zu spüren. Immer mal wieder finden sich Paare, die einander umrunden, sich aneinander festklammern oder erotische Handlungen aneinander vollziehen. Am Ende geht die Anspannung in Entspannung über, was wohl als Utopie zu verstehen ist.
Plötzlich lassen Maschinengewehrsalven eine große Gruppe mit einem Schlag zu Boden gehen. Wenn dieser Einfall, was wir annehmen, bereits bei der Planung der Choreografie bestand, hat Ohad Naharin die aktuellen Ereignisse an der Grenze zum Gaza-Streifen erahnt. Das Publikum sieht in dieser Szene zwangsläufig eine Anspielung auf den vor erst einer halben Woche erfolgten brutalen Überfall der Hamas auf ein israelische Musikfest.
Dann wird eine weiße Friedensfahne hochgehalten, und ein Tänzer verbindet mit einer unglaublichen Menge von Klebestreifen alle Mitglieder der Tanzgruppe zu einem großen Gemeinsamen. Es hat hohen ästhetischen Reiz, wie sich hier im Schlussbild noch einmal zusammenfügt – auch wenn dieser Zusammenhalt künstlich herbeigeführt wird -, und im Hintergrund läuft immer noch die blaue Frau…..
Es mutet fast schon traurig an, dass diese israelische Produktion nicht nur die grundsätzlich existenzielle Not – nicht nur! – des israelischen Volkes widerspiegelt, sondern ungeplant die aktuellsten Ereignisse kommentiert. Aber gerade das verleiht dieser Choreographie eine ganz besondere Ausdruckskraft.
Barbara Raudszus
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