In diesem Roman beschreibt Tonio Schachinger die Schulzeit am privaten Wiener Elitegymnasium „Marianum“ aus der Sicht des Schülers Till. Neben dem Schloss in Schönbrunner Gelb gibt es hier Tennis- und Volleyball-Plätze, ein Hallenbad, einen Turnsaal und die große Multifunktionshalle, aber auch die von Schülerfüßen glattgetretenen Platten des Steinbodens, über den schon tausende Kinder und Jugendliche gegangen sind. Außerdem umgibt das Schulgelände eine zwei bis vier Meter hohe Mauer.
Der Neuling Till möchte eigentlich eher in Ruhe gelassen werden. Er möchte Freiräume nutzen und nicht groß auffallen. Doch sein Klassenlehrer Dolinar hält nichts von Freiräumen und verhält sich eher despotisch. Seine Pädagogik beruht auf Strafen und Demütigungen, und bei ihm herrscht ein Klima der Angst. Die Schüler haben zu spuren. Zitat: „Nichts, was Sie dort einüben, macht Sie später erfolgreich, sondern dass Sie dort gelernt haben, alles zu ertragen, was von Ihnen verlangt wird, und alles zu erlernen, egal wie unwichtig es ist.“ Ähnlich „wie bei den Bankern, die nach Westpoint geschickt werden.“
Till gelingt es lange, unauffällig im Klassenverband mitzuschwimmen. Seine eigentliche Passion ist jedoch das Spielen am Computer – hier vor allem das Spiel „Age of Empire“. Da wird er gefordert, aber auch bestätigt. Es gelingt ihm sogar, ganz an die Spitze der „Gamer“-Gemeinde zu gelangen. Besonders nach dem Tod seines Vaters fühlt er sich in der Computerwelt – dem Gegenentwurf zu seinem Schulalltag – gut aufgestellt und aufgehoben.
Seine voll berufstätige Mutter kann sich kaum um ihn kümmern, bemerkt aber, dass er in der Spielewelt zu versinken droht, und sucht das Gespräch mit ihm. Till wiederum versucht, seiner Mutter die Faszination des Computerspielens nahe zu bringen. Sie ist jedoch komplett damit überfordert, die Strategien zu verstehen und die Geschwindigkeit des Spiels nachzuvollziehen. Immerhin zeigt Till seiner Mutter das einfache Spiel „Candy Crash“, mit der sie ihre Einschlafprobleme bewältigen kann.
Schachinger zeigt hier einen Generationenkonflikt zwischen digitaler und analoger Welt. Für Till sind es die enormen Anforderungen des digitalen Spiels, die ihn reizen und faszinieren. Die Mutter wiederum, die in der analogen, „realen“ Welt unterwegs ist, leidet unter der Unfähigkeit, beim Computerspiel auch nur am Rande mitzuhalten.
Till versucht immer wieder, eine gewisse Balance zwischen der Schulwirklichkeit mit dem despotischen Klassenlehrer und seiner Spielfreude herzustellen. Das gelingt ihm auch streckenweise, doch Dolinar ist ihm auf den Fersen und erhöht kontinuierlich den Druck auf den Jungen. Um seine innere Balance immer wieder zu finden, flüchtet Till in die Spielewelt.
Doch bald gerät Tills Leben durch die Beziehung zu der Klassenkameradin Feli wieder aus dem Lot. Er verliebt sich in das attraktivste Mädchen der Schule und hat tatsächlich Chancen bei ihr. Er fasst es kaum, bleibt aber am Ball. Wieder setzt ein neuer Lernprozess ein. Schule, Liebe, Gaming – einfach ist es nicht, all das unter einen Hut zu bringen, und das kurz vor dem Abitur. Als dann auch noch Corona dazukommt und alles lahmlegt, gilt es wieder, neue Herausforderungen durchzustehen. Am Ende des Romans ist Till glücklich und zufrieden, endlich die „Hölle Schule“ hinter sich lassen zu können.
„Echtzeitalter“ ist ein typischer Entwicklungsroman – ich ziehe den deutschen Begriff dem englischen „coming of age“ vor, in dem der Protagonist – Till – in den Jahren der Schulzeit Wesentliches über sich und seinen Platz in der Welt lernt. Durch die Liebe zu der viel reiferen und selbstbewussteren Feli erhält er wertvolle Impulse für seine Persönlichkeitsentwicklung. Immer wieder weist sie ihn darauf hin, seinen ganz eigenen Weg zu gehen, der seiner Natur entspricht. So kann er schließlich aus allen Einflüssen das herausfiltern, was für ihn zählt.
Der Roman ist vielschichtig und immer wieder auch humorvoll geschrieben. Tonio Schachinger erwiest sich als einfühlsamer, genauer Beobachter, der Wege aufzeigt, autoritäre, unterdrückende Strukturen zu erkennen und sich auf individuelle Art und Weise dagegen zur Wehr zu setzen.
Barbara Raudszus
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