Liest man in der einschlägigen Presse über Finanzbetrügereien aller Größenordnungen, so stellt sich automatisch die Vorstellung von Finanzinstituten mit hoher krimineller Energie ein. Der regulierende Staat spielt dabei die Rolle eines löschwilligen Feuerwehrmannes, der jedoch leider nur über unzureichendes Löschmaterial verfügt. Die Vorstellung, dass gerade der für die Aufsicht zuständige Staat lächelnd Öl ins Feuer gießt, erscheint eher absurd, zumindest in den westlichen Industrieländern.
Der britische Journalist Oliver Bullough beweist jedoch gerade letzteres am Beispiel der britischen Regierung, die bestehende finanzielle Schlupflöcher nicht nur nicht schließt, sondern ganz bewusst offenhält, um die Kundschaft der Londoner „City“ nicht zu verärgern.
Das klingt im ersten Augenblick nach einer bösartigen Unterstellung eines Ultralinken, der jegliche freie Wirtschaft im Finanzsektor für Teufelszeug hält. Doch Bullough ist ein sehr vernünftiger, wenn auch kritischer Journalist, der anfangs bestimmten Unstimmigkeiten auf die Spur zu kommen versuchte, bis er dann den wahren Sachverhalt erkannte.
Das Verhalten der britischen Regierung vergleicht Bullough mit der Arbeitsweise eines Butlers, der für seine Herrschaften alle Hindernisse auf seine ganz eigene, diskrete und nicht unbedingt legale Weise aus dem Wege schafft. Die Rolle des Butlers spielen dabei die einschlägigen britischen Regierungsbehörden, die des Arbeitgebers die Finanzindustrie – die „Londoner City“ – und deren Kundschaften. Das auch echte Kriminelle diese Schlupflöcher nutzen könnte, versteht sich dann als unvermeidlicher Kollateralschaden….
Die Situation lässt sich leicht mit dem historischen Kolonialismus vergleichen. Bei diesem besetzte ein westlicher Staat ein armes Land im globalen Süden, unterdrückte die Bevölkerung und beutete rücksichtslos die Bodenschätze aus, um den eigenen Wohlstand zu stärken. In der modernen Variante überlässt man die eher degoutanten Aspekte wie Unterdrückung, Raub und Zerstörung der jeweiligen lokalen Elite und öffnet dieser und ihren erbeuteten Reichtümern Türe und Tore ins Vereinigte Königreich. Da das mit aller Diskretion seitens der beteiligten Institutionen erfolgt, wird das meist öffentlich kaum sichtbar. Man sieht dann nur die Villen der reichen Ausländer in London.
Von den vielfältigen konkreten Beispielen – teilweise Thriller-Charakter – wollen wir hier nur drei anführen.
Alle Staaten versuchen, den Wert ihrer Währung und damit die Stabilität ihrer nationalen Wirtschaft durch Steuern, Zinsen und Kapitalkontrollen zu steuern bzw. zu garantieren. Außerhalb der eigenen Grenzen vagabundierendes Geld der eigenen Währung müssten dann die jeweiligen Länder mit ihren Regulierungswerkzeugen mitbetreuen. Schon in den sechziger Jahren existierten im britischen Raum größere Dollarmengen, für die sich die entsprechenden Institutionen jedoch nicht zuständig fühlten. Also konnten mit diesen Dollars beliebige Finanztransaktionen ohne die oben genannten Einschränkungen durchgeführt werden, was vor allem Steuerflüchtlinge und deren Hausbanken interessierte. Doch anstatt diese Lücke zu schließen, ließ die englische Regierung auf Druck der „City“ die Dinge laufen und ermöglichte damit Potentaten und dubiosen Finanzfirmen, ungehindert am Markt zu agieren. Diese Lücke, wenn man sie so nennen will, existiert bis heute und bietet ideale Möglichkeiten zur Wäsche illegaler Geldströme aus Drogen- und Waffenhandel sowie Prostitution, um nur einige Märkte zu nennen.
Die zweite Lücke wurde schon wesentlich zielgerichteter gesucht und gefunden. Auf der Suche nach geeigneten Orten fanden US-Anwälte die „British Virgin Islands“ (Britische Jungferninseln), die zwar über weitgehende Finanzautonomie verfügten, aber mangels Geldmasse damit nichts anfangen konnten. Doch Firmengründungen waren dank der unterentwickelten Struktur nicht nur einfach, sondern unterlagen auch keinerlei Transparenzregeln oder irgendwelchen Steuern. Also installierte man dort einige Anwaltskanzleien, die nur die Aufgabe hatten, im Akkordtempo Briefkastenfirmen zu gründen, deren einzige Aufgabe wiederum darin bestand, Gelder umzuleiten. Das funktioniert bis heute hervorragend, und niemand bis in höchste britische Regierungskreise ist daran interessiert, diese Schleusen für flüchtiges Geld aus dunklen Quellen zu schließen.
Das dritte Beispiel wirkt wegen seines ländlich-biederen Hintergrunds geradezu grotesk. In Schottland gibt es die „Scottish Limited Partnerships“, Firmen einfachster Art, die sich Großgrundbesitzer einst für die Verpachtung von kleinen Parzellen ausgedacht hatten und die deshalb zu keinerlei Rechnungslegung oder Offenlegung von Eigentumsverhältnissen verpflichtet waren. Dieses Konstrukt entdeckten Kriminelle des ehemaligen Ostblocks und schleusten darüber Milliardenbeträge, die sie der für ihre Armut bekannt Republik Moldau über komplizierte Finanzarchitekturen geraubt hatten. Der Weg der Gelder bis dorthin ist nachweisbar, aber wegen fehlender weil nicht gewollter Nachverfolgbarkeit nicht weiter nachvollziehbar. Auch hier endete der engagierte Versuch, diese Lücke zu schließen, am Druck der Londoner „City“, die um ihre Attraktivität bei der entsprechenden Kundschaft fürchtete. Selbst überzeugte Parlamentsmitglieder scheiterten mit ihren jahrelang verbissen geführtem Kampf um mehr Transparenz und Legalität am Widerstand der um den kurzfristigen Wohlstand Großbritanniens besorgten Finanzwelt einschließlich des zuständigen Ministeriums.
Bullough zieht das traurige Fazit, das Großbritannien von den anderswo verarmten Völkern geraubten Geldern recht gut lebt, und wenn nur in Gestalt von „Transitgebühren“. Das liegt auch daran, dass die finanzielle Oberaufsicht – bewusst?? – auf viele Behörden verteilt ist, die natürlich eifersüchtig über ihre jeweiligen Kompetenzen und Datenbestände wachen. Darüber hinaus wechseln die schlecht bezahlten Kräfte in den unterfinanzierten Kontrollbehörden regelmäßig zu Finanzbehörden, die dieses Wissen ideal für ihre „Governance“-Bereiche verwenden können – in den besten Fällen, denn diese ehemaligen Finanzkontrolleure verfügen natürlich über viel finanzkriminologisches Knowhow, das man auch anderweitig einsetzen kann.
Für Bullough ist das Fazit trotz einiger schwachen Anzeichen einer Besserung klar: Großbritannien fühlt sich als „Butler“ gieriger Autokraten, habgieriger Steuerflüchtlinge und finanzkräftiger Krimineller jeglicher Couleur durchaus wohl. Alles in Ordnung, solange vom finanziellen Schaden nur andere, arme Länder betroffen sind.
Das Buch ist im Kunstmann-Verlag erschienen, umfasst 271 Seiten und kostet 26 Euro.
Frank Raudszus
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