Der vollständige Untertitel dieses Buches lautet „China, die USA und der Kampf um die weltpolitische Vorherrschaft im Infopazifik“ und stellt damit fast schon eine Zusammenfassung dar.
Die seriösen Tageszeitungen veröffentlichen im nahezu wöchentlichen Takt brisante Nachrichten und Hintergrundberichte über die machtpolitische Lage im pazifischen Raum, genauer gesagt: im weiten Dreieck zwischen China, (US-)Amerika und Australien. Sieht man sich die Karte dieses Gebietes an, drängen sich dort am Rande des Geschehens noch einige andere Länder, deren Lage jedoch angesichts der Fläche der oben genannten Länder bzw. Kontinente geradezu prekär anmutet. Japan, Südkorea und die Philippinen scheinen optisch dem übermächtigen China nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe geradezu schutzlos ausgeliefert zu sein. Doch glücklicherweise täuscht diese Optik, weil letzten Endes die gemeinsame wirtschaftliche und militärische Macht dieser Länder eine Rolle spielt. Zwar ist die chinesische Wirtschaft nach der der USA die zweitstärkste der Welt, doch die genannten Länder können zusammen einen fast gleichwertigen Gegenpol bilden, was jedoch nur gelingt, wenn sie alle an einem Strang ziehen.
Matthias Naß, der von seiner Ausbildung sowie langjährigen journalistischen Tätigkeit im indopazifischen Raum über ideale Voraussetzungen für eine kompetente Beurteilung der dortigen Situation verfügt, bringt die Situation entsprechend auf den Punkt. Er fasst mehr die Ereignisse und Strategien der beteiligten Machtblöcke zusammen als dass er neue Theorien und Spekulationen anbietet. In diesem Sinne ist er klassischer Journalist, der das Gegebene strukturiert und darstellt, statt sich in waghalsigen Interpretationen zu ergehen.
Im Mittelpunkt steht der unbedingte und nie verheimlichte Will Chinas, die Weltordnung zu verändern, indem die vermeintliche Hegemonie der USA und das wertebasierte System des Westens – Demokratie, Menschenwürde, Freiheit – durch je eigene Systeme souveräner Staaten (und autoritärer Machtblöcke!) ersetzt werden soll. Und ebenso unverkennbar tritt der Wunsch zutage, dass künftig China den Gang der Welt bestimmen soll. Konkreter und kurzfristiger Anlass ist die – einseitig von China geforderte – Wiedervereinigung von China und Taiwan, die China notfalls auch mit militärischer Gewalt erreichen will. Angesichts der wirtschaftlichen und militärischen Asymmetrie zwischen diesen beiden Kontrahenten liegt die Annahme nahe, dass es China nicht um materielle Vorteile, sondern nur um das Prestige geht, das mit einer von China gewollten und erfolgreich durchgeführten Eingliederung Taiwans verbunden ist. Doch Naß diskutiert nicht die innen- oder außenpolitischen Motive hinter diesem Projekt, sondern begnügt sich ganz pragmatisch mit den Fakten. Angesichts der schieren Größe und Macht Chinas sind solche Hintergründe auch zweitrangig, weil man Machtwillen nicht mit Interpretationen bekämpfen kann.
Das haben auch die USA verstanden, die sich – trotz Ukraine-Krieg! – schon seit längerem vom europäischen Raum ab- und dem asiatischen zuwenden. Sie haben laut Naß erkannt, dass man China nur durch Machtpolitik begegnen kann. Diese muss jedoch strukturiert und in sich schlüssig ausgeübt werden und nicht erratisch-emotional wie unter Donald Trump. Naß schildert nüchtern und sachlich, wie die USA im indopazifischen Raum neue Bündnisse schließen, etwa AUKUS (AUstralien, UK und USA) oder QUAD (USA, Japan, Australien, Indien). Gleichzeitig treten die USA öffentlich für Taiwan ein, rüsten es militärisch hoch und erklären sich zu der militärischen Verteidigung des Inselstaates bereit. Obwohl Naß dieses Verhalten nicht weiter interpretiert, wird doch deutlich, dass er hier einen deutlichen Unterschiede etwa zu Europas Haltung gegenüber Russland sieht, wo immer einzelne Staaten entweder die Sicht Russlands unterstützen oder zumindest an die Wirkung eines Dialogs glauben. Wo manche europäischen Politiker den angeblich mäßigenden Dialog mit Russland suchen, richten die USA klare Worte an China im Sinne von „bis hierher und nicht weiter“. Dazu gehören auch die Präsenz der US-Marine im Seeraum um Taiwan und die demonstrative Durchfahrt durch die Straße von Taiwan.
Naß geht bei seiner Darstellung der Lage systematisch auf alle Elemente dieser brisanten geopolitischen Situation ein. So schildert er den Versuch Chinas, die von den USA und Australien (!) lange vernachlässigten Inselstaaten des Südpazifiks mit wirtschaftlichen und militärischen Verlockungen an sich zu binden, den die USA und Australien erst in buchstäblich letzter Minute erfolgreich abwehren konnten. Auf der anderen Seite zeigt er, dass China gerade durch seine unverhohlenen machtpolitischen Drohungen eventuelle noch schwankende Nachbarländer wie die Philippinen oder gar Vietnam förmlich in die Arme des Westens treibt. Als Leser fragt man sich, warum die Chinesen diese Aktivitäten nicht geschickter, d.h. mit blumigen Versprechungen und Großzügigkeit gestaltet haben, doch auch hier versagt sich der Autor jegliche Spekulation und hält sich an die Fakten.
Separat schildert er Haltung und Aktivitäten aller mehr oder minder betroffenen Länder und Bündnisse bezüglich der indopazifischen Lage, so Australien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die Nato. Dabei wird deutlich, dass in Europa immer noch ein gewisses eurozentrisches Denken vorherrscht, verbunden mit der Überschätzung der eigenen Bedeutung. Außerdem herrschet dort immer noch eine gewisse, von wirtschaftlichen Aspekten gesteuerte Naivität, die nicht sehen will, was nicht sein darf. Naß kritisiert dies nicht aus hoher politmoralischer Position, sondern zeigt es nur – das genügt.
Doch bei all seiner interpretatorischen Zurückhaltung stellt er unmissverständlich klar, das hier ein neuer Weltkrieg zwischen zwei Nuklearmächten droht, und er lässt die Frage offen, wie lange sich die Chinesen durch die derzeit noch gegebene militärische Überlegenheit der USA von militärischen Abenteuern abhalten lassen. Vor allem bleibt offen, inwieweit hier die Russen auch im pazifischen Raum noch aktiv werden könnten. Zwar sind diese derzeit mehr als geplant in der Ukraine gebunden und weltweit (bis auf China) isoliert, doch Naß lässt die Frage nach der aktiven Einmischung Russlands im Pazifik offen. Auch hier verbietet er sich jegliche Spekulation, obwohl man sich ein wenig mehr interpretatorischen Mut gewünscht hätte. Als langjährig international arbeitender Journalist verfügt er sicherlich über einiges Hintergrundwissen, dass er hier hätte verarbeiten können.
So bleibt dieses Buch bis zum Schluss eine konzise, ungeschminkte Zusammenfassung der gegenwärtigen Situation, doch der Vorteil, dass hier nichts im Sinne einer Friedenshoffnung schöngeredet wird, geht für den Leser mit dem Nachteil einher, keinen Einblick in tiefere politische oder ideologische Motivationen und deren Auswirkungen zu erfahren. Vielleicht ist das aber auch zuviel verlangt, denn man sollte ein Buch in erster Linie danach beurteilen, was es sagt, und nicht danach, was es (noch) hätte sagen können. Letzteres wäre nur bei krassen Fällen von Faktenignoranz zu kritisieren.
Das Buch ist im Verlag C. H. Beck erschienen, umfasst 282 Seiten und kostet 26,90 Euro.
Frank Raudszus
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