Das 1. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt fand am 28. September an einem eher ungewöhnlichen Ort statt: der „Centralstation“, die sonst eher für ausgewählte Popmusik bekannt ist. Doch das Programm zielte bewusst auf ein anderes als das übliche Abonnementspublikum ab, das sozusagen auf die großen Klassiker und Romantiker „abonniert“ ist. Hier jedoch ging es um einen Streifzug durch die Musikgeschichte, wobei die Identität und die Integration ungewohnter Instrumente und damit fremder Klangfarben in eine bunte Mischung verschiedenster Musikstücke im Vordergrund standen.
„Bridges“ ist ein Frankfurter Kammerorchester mit weit über zwanzig Mitgliedern, das sich gerade diese Integration zur Aufgabe gemacht hat. Dabei bezieht sich die Integration nicht nur auf Musikinstrumente, sondern auch auf die kulturelle Herkunft der Ensemblemitglieder. Die Namensliste des Ensembles zeigt dies recht deutlich.
Aus unvorhersehbaren Gründen konnte der Rezensent nur die ersten drei Musikstücke anhören, was natürlich die Rezensionsbasis gravierend einschränkt. Da jedoch bereits diese drei Stücke den Charakter des Ensembles deutlich zum Ausdruck brachten, wollen wir zumindest einen Kurzbericht anbieten.
Das Programm mischte Epochen und Musikstile selbstbewusst und ohne Scheu vor Kontrasten. Da standen neben Namen wie Vivaldi und Bach (Johann Sebastian) auch George Gershwin („Summertime“) dem hiesigen Publikum eher unbekannte Musiker wie Hassan Skaf (1951-2015) oder Khadija Zeynalova *1975), und auch das Ensemble selbst war kompositorisch oder zumindest bearbeitend im Sinne des musikalischen Arrangements tätig.
Es begann mit Vivaldis berühmte Sonate in d-Moll, die wohl jeder Musikliebhaber kennt. Das gravitätisch trauernde Thema wandert in der „Bridges“-Version in vielen originellen Variationen durch alle Instrumenten, wobei vor allem fremde Zupfinstrumente wie die Oud und Holzbläser eine Rolle spielen. Dirigent Harish Shankar ließ dabei den einzelnen Instrumenten viel Raum, ihre ganz individuellen Eigenarten zur Wirkung kommen zu lassen, und dadurch eröffneten sich dem Publikum völlig neue Klangwelten. Vivaldis Stück gewann dadurch erheblich an Eindringlichkeit und Farbigkeit, weil die teilweise freien Variationen das vorgegebene Thema sehr ideenreich – und nicht unbedingt traurig – umspielten.
In dem anschließenden Stück „Canarios“ des Spanier Gaspar Sanz (1640-1770) kam deutlich die arabische Provenienz der spanischen Musik des Barocks zum Ausdruck. Dies bewirkte nicht zuletzt die arabische Oud, die mit einer ganz eigenen, man möchte sagen, melancholische Klangfarbe aufwartete und ein dem eurozentrischen Ohr ungewohntes Klangerlebnis erzeugte. Die anderen Zupfinstrumente folgten mit eigenen Solo-Einlagen, und die Streicher hielten das Ganze immer wieder durch entsprechende Passagen zusammen.
Das dritte Stück stammt von einem Mitglied des Ensembles, dem Bläser Peter Klohmann (Saxophon, Flöte) und trägt bewusst den Titel „Identigration“, da es einerseits die Identität jedes einzelnen Instruments wahrt und achtet, es andererseits aber harmonisch in die Komposition integriert. Nachdem die Holzbläser ein Thema vorgegeben hatten, stiegen die anderen Instrumente sukzessive darauf mit eigenen Versionen ein. Die weitgehend freie Metrik ermöglichte dadurch ein experimentelles Musizieren wie im modernen Jazz. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Erzeugung der unterschiedlichsten Klangfarben, die das europäisch getrimmten Ohr mehr als einmal überraschten und an andere Welten denken ließen. Ganz wichtig war auch der rhythmische Aspekt, ebenfalls ähnlich dem zeitgenössischen Jazz, an den dieses Stück immer wieder erinnerte.
Mit diesem Stück endete leider die Anwesenheit des Rezensenten, der gerne auch nach das unmittelbar anschließende „Summertime“ von George Gershwin gehört hätte – vom zweiten Teil des Konzerts ganz zu schweigen….
Frank Raudszus
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