Lange Zeit spielte die Barockmusik im sinfonischen Programm des Staatstheaters Darmstadt einer eher nachgeordnete Rolle im Vergleich zu Klassik, Romantik und Moderne. Das holte GMD Daniel Cohen im Rahmen der „Barockwochen“ jetzt im 7. Sinfoniekonzert in weitem Bogen nach. Typische Barock-Komponisten wie Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel und Wilhelm Friedemann Bach bildeten zusammen mit dem wohl eher als frühklassisch einzustufenden Carl Stamitz das Programm des Abends. Als Dirigent hatte man den als Spezialisten für Alte Musik bekannten Reinhard Goebel gewinnen können, der mit seinem eigenen Barock-Ensemble, der „Musica Antiqua Köln“, viele Erfolge aufzuweisen hat.
Alle vier Komponisten hatten einen mehr oder minder starken Bezug zu Darmstadt, das damals mit Graupner einen renommierten Kapellmeister und Komponisten sein eigen nennen konnte. Telemann lebte und komponierte im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhundert in Frankfurt, wo man sich wohl öfter musikalisch traf. Und Stamitz war an der schon damals führenden Mannheimer Schule tätig und damit auch nicht weit von Darmstadt entfernt. Man kannte und schätzte sich. Der weitgehend unbeliebte Friedemann Bach wäre fast und gerne nach Darmstadt gekommen, aber es sollte nicht sein.
Der Abend begann mit Telemanns „Concerto für 3 Clarini, 2 Oboen, Pauken, Streicher und Basso Continuo“ D-Dur aus dem Jahr 1716, das dieser zur Geburt eines Habsburger Thronfolgers komponierte. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei Clarini genannten Barock-Trompeten, die auch gleich den fanfarenartigen Beginn dieses Stücks prägen. Der erste Satz entwickelt sich dann gravitätisch schreitend, wie man es von der höfischen Barockmusik kennt. Anschließend durchwandert dieses Concerto luftigere Passagen, aber mit ostinatem Hintergrund des Basso Continuo. Auch ein herzhafter 3/4-Takt ist Teil dieses viersätzigen Werkes, das – nach einem klagenden Largo – mit einem kräftigen Vivace endet. Das Orchester beschwor mit diesem Stück gleich zu Beginn des Abends eine festliche Atmosphäre und entführte das Publikum zumindest gedanklich in eine Welt vor gut dreihundert Jahren.
Danach folgte dann gleich Händels Sinfonia B-Dur aus dem Jahr 1709, der Zeit des Hochbarocks. Nach einem lebhaften ersten Satz („Allegro“) folgt ein eindringliches, fast klagendes Adagio, dessen Schwermut erst das lebendige, fast fröhliche Allegro des Finalsatzes auflöst.
Mit diesen beiden Stücken blieb das Programm weitgehend in der mal gravitätisch, mal klagend agierenden Musik des Hochbarock. Das änderte sich mit dem „Concerto D-Dur für Viola“ von Carl Stamitz aus dem Jahr 1774. In gewisser Weise sprengte dieses Stück den barocken Rahmen des Abends, denn zur selben Zeit war Mozart schon ein international bekannter Musiker völlig neuen Zuschnitts. Doch Stamitz kam aus Paris, wo man noch die traditionelle, sprich: barocke, Mäßigung hinsichtlich Dynamik und Kontrast bevorzugte.
Dieses Konzert trägt daher auch noch deutliche Züge der Barockmusik und reicht nicht an die musikalische Vielfalt vergleichbarer Solokonzerte von Haydn oder gar Mozart heran, die zur gleichen Zeit entstanden. Dennoch ist dieses Konzert allein schon wegen des seltenen Solo-Instruments, der Viola oder Bratsche, eine Besonderheit, und der Solo-Bratschist Nils Mönkemeyer intonierte Stamitz´ Musik mit meisterhafter Leichtigkeit und Präzision. Ganz im Stil des barocken Solokonzerts hält sich das Orchester nach einem langen Vorspiel extrem zurück und überlässt dem Solisten weitgehend die musikalische Bühne. Reinhard Goebel ließ die Musiker die Begleitung geradezu „hintupfen“, und Nils Mönkemeyer bedankte sich im ersten Satz durch eine ausgedehnte und ausdrucksstarke Kadenz. Auch der zweite, getragene Satz, ein „Andante moderato“, ist ganz auf den Solisten zugeschnitten, und Mönkemeyer konnte hier mit seiner Musikalität brillieren. Den Abschluss bildete dann ein anmutig-tänzerisches Rondo, bei dem auch das Orchester wieder zu seinem Recht kam.
Das Publikum spendete vor allem dem Solisten begeisterten Beifall und erklatschte sich buchstäblich eine virtuose Zugabe von Mönkemeyer.
Nach der Pause erklang dann ein ausgefallenes Werk von Wilhelm Friedemann Bach: „Adagio & Fuga d-Moll“. Zwei Flöten intonieren mit orchestraler Unterstützung das introvertierte Adagio, bis der Kontrabass die Fuge einleitet. Diese zieht sich vierstimmig durch die verschiedenen Instrumentengruppen, bis das Orchester zum Schluss wieder zusammenfindet. Reinhard Goebel arbeitete die einzelnen Stimmen zusammen mit dem Orchester deutlich und transparent heraus, so dass man dem Fugenablauf weitgehend folgen konnte. Dieses Stück war ein kleiner, und in gewissem Sinne erfrischender Ausreißer in dem „klassischen“ Barock-Programm dieses Abends.
Den Schluss bildete dann wieder – ganz im dramaturgischen Sinn einer Rahmenhandlung – Georg Philipp Telemann, nun mit der „Ouverture Dur“ aus dem Jahr 1767, dem letzten Lebensjahr des Komponisten. Der typische barocke Aufbau dieses Stücks mit „Ouverture“, „Plainte (Klage)“, „Réjouissance“ und drei weiteren programmatischen Satztiteln erinnerte noch einmal an die Tatsache, dass Mozart zu dieser Zeit bereits als Wunderkind durch die Lande zog und eine neue musikalische Epoche einleitete. Noch einmal war ein „herrschaftlicher“ Auftakt mit Hörnern, Fagotten und Oboen zu hören, die „Plainte“ war ein unverfälschte barocke Klage über die Endlichkeit des Seins, die anderen Sätze kamen, je nach Bezeichnung, mal lebhaft klingend, mal getragen und mal mit ostinaten Motiven daher, bis ein Menuett den Reigen dieser barocken Titel beendete. In diesem Werk konnten Dirigent und Orchester noch einmal alle Merkmale barocker Orchestermusik Revue passieren lassen respektive intonieren, und sie taten es meisterlich.
Der Beifall des Publikums fiel so kräftig aus, dass Reinhard Goebel die „Plainte“ noch einmal als Zugabe präsentierte.
Frank Raudszus
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