Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, ist Deutscher und Iraner. Obwohl er hier aufgewachsen und sozialisiert worden ist, hat er nie seine iranischen – muslimischen – Wurzeln vergessen oder gar verleugnet. In gewisser Weise vollführt er seit Jahrzehnten einen geistigen Spagat zwischen beiden Kulturen, der vor allem nach der Revolution 1979 und den letzten dreißig Jahren immer anstrengenden geworden ist. Doch die bekannten religiös-politischen Umbrüche der letzten Dekaden haben ihn weder zum (ungläubigen) Konvertiten noch zum Islamisten gemacht. So ist er mit den Extremen beider Kulturkreise konfrontiert und versucht, sie intellektuell zu meistern, ohne sich blind auf eine Seite zu schlagen.
Die Kommentare zum Zeitgeschehen sind chronologisch organisiert und beginnen in den neunziger Jahren. Der damals noch relativ zahme Fundamentalismus des Islams findet zwar seine deutliche Kritik, aber eine „Zeitenwende“, um ein aktuellen Begriff zu benutzen, sieht Kermani darin noch nicht; eher ein Signal zum Hinschauen.
In einem sehr emotionalen Artikel aus den Neunzigern geißelt er die moralische Herablassung des (deutschen) Westens über Kopftücher, Behandlung der Frauen im Islam sowie weiterer – durchaus kritikwürdiger – muslimischer Lebensgewohnheiten. Der angeblichen Selbstgerechtigkeit der Deutschen hält er in satirischer Überspitzung die rassistischen Übergriffe von Solingen und Hoyerswerda entgegen.
Doch als Mann zweier Welten verteidigt Kermani seine Herkunftskultur nicht bedingungslos. Zu allen Menschenrechtsverletzungen im Iran und in anderen Ländern äußert er sich mit scharfer Kritik bis hin zur Forderungen an die Weltöffentlichkeit, einzuschreiten.
Folgerichtig steht das Engagement – besser: die Interventionen – des Westens in islamischen Ländern im Mittelpunkt. Natürlich spielen dabei Afghanistan (nach 9/11) und der Irak (2003) die zentralen Rollen. Vor allem im Fall Afghanistans kritisiert er den Westen – vor allem die USA – aus zwei scheinbar gegensätzlichen Richtungen. Der Bombardierung und dem Einmarsch der USA in Afghanistan steht er genauso ablehnend gegenüber wie dem überhasteten Abzug. In beiden Fällen trägt er durchaus konkrete und nachvollziehbare Argumente vor, doch schreibt er dem afghanischen Volk – wie auch den anderen islamischen Ländern – implizit eine unaufgeklärte und unselbständige Rolle zu, die ein vernünftiges Handeln – ausschließlich? – von der anderen Seite erfordert. Ein wenig erscheinen die muslimischen Länder – allen voran Afghanistan – wie ein Kindergarten, der eine rücksichtsvolle und stets abgeklärte Behandlung durch die erwachsenen Erzieher benötigt. Wenn etwas schiefläuft, sind natürlich die Erzieher schuld, weil die Schutzbefohlenen ja unmündige Kinder sind. Die Gründe für den Zusammenbruch der afghanischen Armee gegenüber den Taliban sieht Kermani eher bei den USA als bei den afghanischen Soldaten.
Im Zuge der Kritik am USA-Westen nimmt Kermani auch Huntigtons „Clash of Cultures“ ins Visier und wirft ihm sowohl „Gedankenfaulheit“ als auch „zahlreiche Fehler“ vor, ohne diese Vorwürfe mit Beispielen zu unterlegen. Obwohl Huntington in seinem Werk die andere Seite dieses bevorstehenden Kulturkampfes nie explizit beschuldigt oder abgewertet hat, wird sein Werk auf dieser Seite offensichtlich so wahrgenommen. Die Realität hat ihn dann auf traurige Weise bestätigt.
Trotz dieser partiellen Voreingenommenheit und der historischen Verfallbarkeit lohnen die Beiträge Kermanis die Lektüre, alleine schon wegen ihrer klaren Analyse und wegen des deutlichen Bemühens um eine universal gültige Deutung und Bewertung der jeweiligen politischen oder gesellschaftlichen Situationen. Das relativiert auch den Opfermythos und den internationalen Helferanspruch, der sich vor allem in den Afghanistan-Artikeln niederschlägt.
Das Buch ist im Verlag C. H. Beck erschienen, umfasst 121 Seiten und kostet 23 Euro.
Frank Raudszus
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