Das sechste Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt hatte ein paar Besonderheiten zu bieten. Dass ein renommierter Cello-Spieler den Solopart spielte, entsprach der Struktur eines Sinfoniekonzerts, darüber hinaus aber hatte der Gast-Dirigent Karsten Januschke das Orchester umgestellt. Die Celli hatten die Plätze mit den Bratschen getauscht, so dass jetzt der vollere Cello-Klang sich frei in den Saal des Großen Hauses ausbreiten konnte. Das Programmheft gibt zwar keine Begründung für diese Umstellung, aber man darf annehmen, dass sie auf Bitten des Gast-Dirigenten hin erfolgte. Grund war wohl das Cello-Konzert, das seine klangliche Vielfalt dadurch besser zum Ausdruck bringen konnte.
Doch zu Beginn erklangen eher konventionelle Töne. Robert Schumanns „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ in E-Dur gehört heute zum festen Konzertrepertoire, obwohl das Werk bei der Uraufführung im Jahre 1841 bei Publikum und Kritik durchfiel. Das Stück erinnert in seiner Leichtigkeit stark an vergleichbare Werke von Schumanns Zeitgenossen Mendelssohn-Bartholdy, und das war wohl auch beabsichtigt. Auch die mehrsätzige, einer Sinfonie zumindest ähnelnde Struktur erinnert an vergleichbare Kompositionen des Leipziger Kollegen. Heutzutage würde dieses Werk problemlos als etwas verkürzte Sinfonie durchgehen, die auf einen langsamen Satz verzichtet. Der erste Satz ist von mehreren liedhaften Themen geprägt, der zweite wirkt stellenweise wie ein musikalischer Blick in eine weite Landschaft, und der dritte schließlich beginnt geradezu beethovensch mit kräftigen Tutti-Akkorden und endet mit einer Art Choral. Karsten Januschke dirigierte dieses Stück ohne Noten aus dem Kopf und überzeugte mit einer so energischen wie präzisen Interpretation dieser eingängigen Komposition.
Das „whisper concerto for solo cello and orchestra“ der 1991 geborenen Komponistin Katherine Balch wurde unter anderem auch vom Staatstheater Darmstadt als Auftragswerk vergeben. Vorgetragen von dem Cellisten Maximilian Hornung, führte es das Publikum direkt aus der Romantik in die jüngste Moderne. Es ist eine freie musikalische Assoziation von unterschiedlichsten Klangvarianten und – kombinationen. In weitgehend freier Metrik testen das Solo-Cello und das Orchester die Grenzen des Klangraums aus. Nicht nur wird der Klangkörper des Cellos durch die unterschiedlichsten Varianten der Tonerzeugung an seine Grenzen geführt, sondern auch das Orchester einschließlich eines Flügels beteiligt sich an diesem Wettkampf der Klangerzeugung. Dabei entstehen immer wieder Geräusche, die an verschiedene Alltags- und Naturerscheinungen erinnern, etwa intensives Plätschern von Wasser. Doch hier hört jeder etwas anderes, je nach eigener akustischer Präferenz. Es geht hier nicht um eine klar nachzuvollziehende Programm-Musik, sondern um eine bewusste Klangvielfalt, ja: einen aufs feinste konstruierten Klangrausch. Überwiegen im ersten Satz, „Adagio. Allegro“ überschrieben, noch langsame und gleichsam schreitende Bewegungen, setzen im dritten und vierten Satz ostinate Cello- und Orchesterfiguren mit den unterschiedlichsten Klangvariationen ein. Am Ende steht dann ein choralartiges Finale, das man jedoch nicht als musikalisches Thema mit Aussagekraft missverstehen sollte, sondern das sich als klanglicher Selbstzweck mit immer wieder überraschenden Klangeffekten versteht. Die konventionellen Tempobezeichnungen der vier Sätze sind zwar als Verweis auf die klassische Struktur solcher Solokonzerte zu verstehen, das Stück selbst löst sich jedoch vollständig von diesen Vorgaben und erzeugt stattdessen einen jenseitig anmutenden Klangrausch aus dem gesamten Spektrum der beteiligten Instrumente, wobei die Pianistin am Flügel dessen Saiten auch einmal direkt mit den Händen bearbeitet.
Maximilian Hornung leistete am Cello künstlerische Schwerstarbeit, die sich jedoch nicht – wie üblich – in halsbrecherischen Läufen oder schwierigsten Griffen zeigte, sondern in der wahrhaft kunstvollen Bearbeitung des Cellos als Tonsystem im weitesten Sinne. Das erfordert von dem Solisten natürlich wesentlich mehr als die Beherrschung des klassischen Cello-Repertoires, nämlich die Einfühlung in völlig neue Klangräume. Maximilian Hornung zeigte sich hier wahrlich als Pionier der neuen Musik.
Das Publikum dankte dem Solisten, der ebenfalls anwesenden Komponistin und natürlich auch dem Orchester mit anhaltendem, begeisterten Beifall, erhielt dafür aber leider keine Zugabe auf dem Cello.
Nach der Pause durfte sich das Publikum dann einem eher gewohnten Klangrausch hingeben: Beethoven! Seine vierte Sinfonie gehört – wie die anderen „geraden“ – zu den seltener gespielten, und schon deshalb gebührt der Programmdirektion Dank. Es muss nicht immer die 5., die 7. oder die 9. sein.
Karsten Januschke dirigierte wieder ohne Noten und begann gleich mit einem spannungsgeladenen und kraftvollen ersten Satz. Schon hier zeigte sich das ausgeprägte Wechselspiel zwischen den messerscharfen Streichern und den warmtönigen (Holz-)Bläsern. Das setzte sich im Adagio des zweiten Satzes mit gesteigerter Präsenz der Holzbläser fort, und die ostinat absteigenden Sequenzen wirkten wie ein „dies irae“. Das Menuett, das nicht mit dem klassischen Menuett-Format eines Haydn oder auch noch Mozart zu vergleichen ist, kommt eher zupackend wie ein Scherzo daher und hört sich nach guter Beethovenscher Manier wie ein vorgezogenes Finale an. Das lieferte dann zum Schluss noch einmal mehrere liedhafte Themen, verpackt in temporeiche und dynamische Orchesterfiguren. Und auch hier sorgten die Holz- wie Blechbläser wieder für eine Ausdehnung des Klangraums und einen klanglichen Widerpart zu den auftrumpfenden Streichern.
Das Publikum dankte dem Orchester und seinem Dirigenten mit langem und kräftigem Beifall für diesen krönenden Abschluss eines wahrhaft klangreichen Abends.
Frank Raudszus
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