Im Jahr 1943 fallen die Bomben auf Deutschland. In Leipzig wird ein etwa zehnjährige rJunge von einem Fremden aus seinem Verlies, einem fensterloser Raum voller Bücher, gerettet. Hier wurde der Kleine über Jahre in vollständiger Isolation gefangen gehalten. Das Lesen hatte man ihm im Alter von fünf Jahren noch beigebracht. Danach kreiste seine Welt nur noch um Bücher und deren Inhalte: Liebe, Freiheit, Heldenmut, Abenteuer, Leidenschaften…. Alles nur angelesen, nichts erlebt.
Der sogenannte „Maskenmann“, der ihn rettet, tut das nicht uneigennützig. Er braucht den Jungen für seine Geschäftsidee, wertvolle Bücher aus brennenden und verlassenen Häusern zu retten, um sie zu Höchstpreisen an Bücherliebhaber zu verkaufen. Das „Alphabet des Schlafs“ ist da erste Buch, das der Junge aus den Flammen fischt, und der Maskenmann hält damit einen Trumpf in der Hand.
Soweit der Einstieg in Kai Meyers Roman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“. Der Autor lässt in diesem Buch das graphische Viertel der Bücher-Stadt Leipzig wieder aufleben, das im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde und heute nicht mehr existiert. Er beschreibt aber auch eine Zeit, in der Bücher noch einen hohen kulturellen Wert besaßen, vor allem Bücher, die aus dem Hause Steinfeld kamen und bibliophile Kunstgegenstände waren, so wunderbar waren waren sie in ihrer Aufmachung mit Goldschnitt und vergoldeten Verzierungen.
Zwei Familien aus dem graphischen Viertel stehen im Mittelpunkt des Romans; zum einen die Buchbinderfamilie Steinfeld, zum anderen die Verlegerfamilie Palland. Über drei Generationen wird der Leser beide Familien sowie ihre beruflichen und privaten Beziehungen begleiten.
Doch wohin gehört der kleine Junge, der über Jahre versteckt wurde? Welche Rolle spielt die Bibliotheksmumie, die in der Bibliothek der Familie Pallandt in einem ägyptischen Sarkophag hochkant ausgestellt ist?
Neben tragischen Familiengeschichten berichtet der Roman auch Einiges über geheimnisvolle Machenschaften. Das liest sich zum einen spannend und unthaltsam, erzählt zum anderen aber auch lehrreich über eine Zeit, in der Bücher noch eine hohe Wertschätzung genossen. Fast wird man als Leser ein wenig wehmütig, wenn man sieht, wie heute die Digitalisierung das haptische Erlebnis des Bücherlesens verdrängt.
Das Buch ist im Knaur-Verlag erschienen, umfasst 496 Seiten und kostet 22 Euro.
Barbara Raudszus
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