Der Name „Niki de Saint Phalle“ löst bei den meisten Kunstinteressierten Assoziationen an buntbemalte, exorbitant pralle und überdehnte Frauenkörper aus. Die erwartet man denn auch, wenn man die Halle der mit dem Namen dieser Künstlerin übertitelten Ausstellung betritt. Doch die Kuratoren unterlaufen diese Erwartungshaltung gleich zu Beginn, um zu zeigen, dass Leben und Werke dieser im Jahr 1930 geborenen Künstlerin ein wesentlich breiteres Spektrum als nur diese spektakulären Skulpturen abdecken.
Gleich zu Beginn begrüßen die sogenannten „Tirs“ die Besucher, Performances ähnelnde Bilder aus den frühen Sechzigern, hinter deren weißer Oberfläche Farbbeutel eingeschlossen waren. Die Künstlerin forderte die Besucher auf, mit einem eigens dafür bereitgestellten Gewehr auf die Bilder zu schießen, woraufhin die Farbbeutel platzten und – je nach Einschlagsort – verschiedenfarbige Farbströme über die Bilder liefen. Durch diese Zerstörungsaktion wollte die noch junge Künstlerin nicht nur den Stellenwert von Kunst(werken), sondern auch den der Künstlerpersönlichkeit in Frage stellen. Diese Aktion erweiterte sie später auf figurative Anordnungen mit Masken bekannter Politiker von Abraham Lincoln über Chruschtschow und de Gaulle bis Kennedy, die sie selbst oder die Besucher ebenfalls unter Feuer nehmen konnten. Die Einschüsse in den Köpfen sowie die herausgeflossenen und geronnenen Farben vermitteln dabei einen eminent politischen Eindruck, der vor allem bei den beiden amerikanischen Präsidenten reale Assoziationen weckt.
Die „Nanas“ genannten weiblichen Körper bilden dennoch das Markenzeichen von Niki de Saint Phalle. Sie selbst kritisierte damit das damalige – und noch heutige? – Rollenbild der Frau, das weitgehend auf die erotisch-sexuelle Ausstrahlung und die Gebärfähigkeit reduziert war. Als deren Anhängsel ergab sich dann die Hausfrau-Tätigkeit wie von selbst. Mit den monströsen Körpern karikierte die Künstlerin diese einseitige Körperbetonung auf satirische Weise.
Sie selbst sah ihr Künstler-Dasein als quasi prädeterminiertes Schicksal und als Rettung zugleich, konnte sie dadurch doch den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater und das Schweigen der Mutter expressiv verarbeiten. Doch die Ausstellung vermeidet es bewusst, diesen Aspekt zu sehr in den Vordergrund zu stellen, einerseits, weil wohl vieles davon im Ungefähren geblieben ist, andererseits, weil man damit das Werk der Künstlerin auf diesen durchaus heiklen Aspekt individualisieren und reduzieren würde. Doch Niki de Saint Phalles Kritik galt der Unterdrückung der Frauen im Allgemeinen und keinem privaten Schicksal.
Ihre eigene Biographie spiegelt ihre frühkindlichen Erlebnisse durch einen Nervenzusammenbruch im Alter von 23 Jahren wider, der eine längere psychiatrische Behandlung erforderte. Später trennte sie sich von ihrem ersten Mann und heiratete den Künstler Jean Tinguely, mit dem sie auch eng zusammenarbeitete.
In den sechziger Jahren entstanden die bereits erwähnten „Nanas“, die sich von Lebensgröße bis hin zu begehbaren Installationen entwickelten. Die größte davon war die „Hon“ in Stockholm, eine auf dem Rücken liegende Frau mit der typischen monströsen Körperfülle und grellen Bemalung, die man durch ein Tor an der brisanten Stelle zwischen den Beinen betreten konnte, um im Inneren statt einer Kunstausstellung einen Freizeitpark vorzufinden. Auch hier lag die Kritik auf der Hand: die Frau als Vergnügungsstätte (für Männer)! Diese Skulpturen variierte sie in Größe und Stellung, aber jeweils mit der bewusst verzerrenden Betonung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale.
Aber sie konnte in ihren Skulpturen auch ein anderes Frauenbild zelebrieren, indem sie deren Schweigen und Selbstgerechtigkeit zur Schau stellte. Darunter fällt etwa die lebensgroße Sitzgruppe aus – wohl Nikis! – Mutter und Tante, die mit ihren breit ausladenden, jedoch eher bürgerlich gekleideten Körpern eine fast drohende Präsenz ausstrahlen, die durch die Speisen auf den Tellern – ein Krokodil und ein Mann in Miniaturausgabe – noch verstärkt wird.
In den siebziger Jahren widmete sich Niki de Saint Phalle dem „Tarot-Garten“ in der Toskana, in dem sie verschiedene Situationen des – weiblichen – Lebens in allegorischen Konstellationen wiedergab, denen sie wiederum Nummern von Tarot-Karten gab. Über zwanzig Skulpturen bevölkerten den toskanischen Garten bei Garavicchio, von denen einige in Form von Modellen oder Zeichnungen in der Ausstellung zu sehen sind.
In den späteren Jahren entwickelte Niki de Saint Phalle dann einen deutlich politischeren Stil. Es begann mit einer künstlerischen Serie über AIDS, in der sie vor allem die Vorurteile gegenüber Homosexuellen auf- und angriff, und setzte sich in den Neunzigern bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 fort mit Grafiken über den Waffenwahnsinn in den USA, die dortige Abtreibungshysterie sowie – bereits damals! – die Erderwärmung.
Wer einen umfassenden Einblick in das Werk dieser Künstlerin auch und vor allem jenseits ihrer prallen Skulpturen gewinnen will, sollte sich diese Ausstellung unbedingt ansehen. Sie ist noch bis zum 21. Mai 2023 geöffnet. Näheres ist auf der Webseite der Kunsthalle Schirn zu finden.
Frank Raudszus
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