Der zweite Band von Tsitsi Dangarembgas Trilogie über die Figur Tambudzai Sigauke erschien bereits 2006 auf Englisch unter dem Titel „The Book of Not“. Erst jetzt, im September 2022, erscheint die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Verleugnen“, und damit als letzter Band der Trilogie. Dass der Verlag sich erst jetzt zur Übersetzung entschlossen hat, mag daran liegen, dass dieser zweite Band inhaltlich und in der Komposition deutlich hinter dem 3. Band zurückfällt.
Tsitsi Dangarembga stammt aus Simbabwe, wuchs in England auf, lebt aber heute wieder überwiegend mit ihrer Familie in Simbabwe. Sie setzt sich aktiv für die Demokratie in Simbabwe ein. Dort hat sie an Demonstrationen gegen Korruption und Machtmissbrauch teilgenommen. Dafür wird ihr heute in Simbabwe der Prozess gemacht. Ihr droht eine mehrjährige Haftstrafe.
In ihrer Trilogie schildert Tsitsi Dangarembga am Beispiel der Figur Tambudzai die Situation im ehemaligen Rhodesien, dem heutigem Simbabwe, während des Bürgerkriegs in den 1970er Jahren bzw. nach der Unabhängigkeit im Jahr 1980. „Verleugnen“ spielt mitten in der Zeit des Bürgerkriegs und der Partisanenkämpfe.
Die aus einem kleinen Dorf stammende Tambudzai hatte das Glück, von ihrem Onkel Mukuru in die Missionsschule geholt zu werden. Das verschaffte ihr die Möglichkeit, als eine der wenigen schwarzen Schülerinnen das „Young Ladies‘ College of the Sacred Heart“ zu besuchen. Das wird im ersten Band der Trilogie erzählt. In dem Band „Verleugnen“ erzählt Tambudzai in der ersten Person von ihren Erfahrungen in der Schule und später im Beruf. Sie ist jetzt 16 Jahre alt und in der Mittelstufe der Schule.
Der Roman beginnt schrecklich: Ein abgerissenes menschliches Bein schraubt sich in die Luft und bleibt in einem Baum hängen. Nach und nach klärt sich die Situation. Es ist das Bein von Tambudzais Schwester, die als Partisanin im Freiheitskampf gegen die Briten engagiert ist. Wie es genau zu dem Unfall kommt, wird jedoch nie richtig klar, mir jedenfalls nicht. Das Dorf ist zu einer brutalen Bestrafungsaktion gegen den Onkel Mukuru zusammengerufen worden. Mukuru gilt als Verräter und Opportunist, der sich den britischen Unterdrückern andient. Wie sonst könnte er Tambudzai in eine Schule schicken, die eigentlich geschlossen werden müsste, weil sie von den Unterdrückern betrieben wird? Tambudzai sowie Onkel und Tante müssen aus der Missionsstation anreisen, ohne zu wissen, worum es geht. Bei der Bestrafung wird der Onkel fast getötet, als einer der Partisanen mäßigend eingreift und ihm damit das Leben lässt. Um ihr „Loyalität einzubläuen“, zwingen die Dorfbewohner Tambudzai, der Bestrafung zuzusehen. Darauf verweist auch der Titel „Verleugnen“, denn Tambudzai kann sich nicht mehr mit ihrer Herkunftswelt identifizieren.
Das jedoch ist Tambudzai gar nicht bewusst. Sie erlebt sich angesichts des schrecklichen Unfalls als erstarrt und hilflos. Sie ist unfähig zu helfen, obwohl sie weiß, dass das von ihr erwartet wird. Sie fühlt sich mittlerweile unter den Dorfmenschen fremd, die Lebensweise ihrer Eltern ist nicht mehr die ihre. So ist sie nur froh, als sie mit Onkel und Tante in die Mission bzw. an die Schule zurückkehren kann.
Der mittlere Teil des Buches erzählt von Tambudzais Leben an der Schule. Die Schule ist mitten im Bürgerkrieg wie eine britische Enklave, die unbeirrt von den politischen Unruhen den Kurs der strikten Rassentrennung weiterführt. Es ist ein Leben der Ungerechtigkeit und des Kampfes um Anerkennung. Während die weißen, privilegierten Schülerinnen in Einzelzimmern wohnen, müssen die fünf schwarzen Mädchen in einem Zimmer am Ende eines Flures zusammenleben. Es ist ihnen nicht erlaubt, bestimmte Bereiche der weißen Mädchen zu betreten, auch die Toiletten sind streng getrennt. Es ist ein Sakrileg, als Tambudzai einmal in großer Not eine Toilette der weißen Mädchen benutzt. Nur die scheinbare Großzügigkeit der Schulleiterin erlaubt ihr, weiterhin die Schule zu besuchen.
Die einzige Möglichkeit, sich Anerkennung zu verschaffen, geht über ausgezeichnete Unterrichtsleistungen. Tambudzai ordnet ihr ganzes Leben diesem Leistungsstreben unter, isoliert sich damit auch von den schwarzen Mitschülerinnen. Tatsächlich erreicht sie auch beim mittleren Schulabschluss die höchste Punktzahl. Die ihr eigentlich zuständige Ehrung wird jedoch an eine weiße Mitschülerin vergeben. Das wirft Tambudzai in eine tiefe depressive Verstimmung, so dass sie nicht mehr die Motivation aufbringen kann, für den späteren Schulabschluss weiter hart zu arbeiten. So schafft sie nur einen mäßigen Abschluss, der ihr viele Türen zu einem sozialen Aufstieg verschließt.
Dieser Teil des Romans schildert zwar einerseits durchaus plastisch die für die schwarzen Schülerinnen demütigende Schulwelt, Tsitsi Dangarembga verliert sich aber zu oft im Detail und in Wiederholungen, die über Strecken ermüdend wirken. Ich hätte mir eine stärkere Konzentration auf die grundsätzliche Situation an der Schule gewünscht: Was als Großzügigkeit der britischen Kolonialherren erscheint, ist tatsächlich eine besondere Form der Erniedrigung. Den afrikanischen Mädchen werden nur Aspekte der europäischen Kultur, Geschichte und Geographie vermittelt, die mit der Lebenswirklichkeit in Afrika überhaupt nichts zu tun haben. Tagtäglich wird den Schülerinnen damit vermittelt, dass Afrika unbedeutend ist, dass es wichtiger ist, Shakespeare zitieren zu können. Hinzukommt die Arroganz der weißen Mädchen, die ihre privilegierte Stellung brutal ausnutzen.
Im dritten Teil des Romans verfolgen wir Tambudzais Weg in das Berufsleben, der wegen des mäßigen Schulabschlusses schwierig ist. Dennoch weiß sie, dass sie gute Fähigkeiten hat. Als sie schließlich in einer Werbeagentur anfängt, hat sie große Hoffnungen auf eine berufliche Karriere. Ihre Entwürfe sind sehr gut, und so winkt schließlich der große Durchbruch. Doch auch jetzt muss sie die Erfahrung machen, dass sie als Schwarze im eignen, jetzt unabhängigen Land immer noch ein Mensch zweiter Klasse ist. Ihre Vorgesetzten sind Weiße, ihre ehemalige Mitschülerin Tracy hat eine gehobene Stellung in eben dieser Agentur. Die männlichen Kollegen ignorieren sie weitgehend, nur wenn sie in Not sind, greifen sie auf Tambudzais Fähigkeiten zurück. Der Karrieresprung aber bleibt ihr versagt. Diese letzte Demütigung kann Tambudzai nur mit einer Kündigung beantworten, allerdings ohne neuen Job und ohne Perspektive. An dieser Stelle wird der dritte Teil der Trilogie beginnen.
Der Roman schafft eine durchaus eindringliche Sicht aus der Ich-Perspektive Tambudzais, die im ersten Teil zu sehr intensiven Schilderungen der Dorfwelt führt und die innere Entfremdung und Hilflosigkeit der jungen Tambudzai vermittelt. Allerdings werden die Zusammenhänge der Situation im Dorf erst beim zweiten Lesen deutlich. Das ist vielleicht sogar gewollt, aber für die Leserin mühsam.
Auch der dritte Teil ist gestraffter als der zweite Teil. Die Ich-Erzählerin Tambudzai konzentriert sich stärker auf ihren inneren Aufruhr und die Empörung und führt die zynische Haltung von Vorgesetzten und Kollegen vor.
Trotz der kompositorischen Schwächen lohnt die Lektüre auch dieses Bandes, denn er verknüpft den Bürgerkrieg mit der abgeschotteten Welt der noch herrschenden Briten. Das abgetrennte Bein ihrer Schwester mahnt Tambudzai immer wieder, dass sie eigentlich in der falschen Welt lebt. Aber sie hat nicht die Kraft, sich daraus zu lösen. Zu groß war das Versprechen, durch Bildung in eine ganz neue Welt eintauchen zu können. Insofern ist dieser Roman auch eine Auseinandersetzung mit der damaligen Form von Entwicklungshilfe: Es kann nicht der richtige Weg sein, junge Afrikanerinnen ihrer eigenen Kultur zu entfremden, statt sie stark zu machen für eine selbstbewusste Identität als Afrikanerinnen. „Verleugnen“ verhindert Identifikation.
Vielleicht hat der Roman auch mehr Strahlkraft im englischen Original, denn die Übersetzung ist bisweilen etwas holperig in den Satzkonstruktionen und dadurch streckenweise etwas mühsam zu lesen.
Der Roman ist im Orlanda Verlag erschienen, die Übersetzung aus dem Englischen hat Anette Grube besorgt. Der Roman hat 306 Seiten und kostet 24 Euro.
Elke Trost
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