Der Italiener Carlo Rovelli ist ein äußerst vielseitiger Intellektueller. Als Physiker forscht er über Astronomie und speziell über Schwarze Löcher, als Schriftsteller äußert er sich zu allen wichtigen Fragen nicht nur der Naturwissenschaften, sondern auch der Philosophie, und auch zu Themen der Tages- und Geopolitik sowie allgemeinen Fragen der Lebensführung bis hin zu ethischen Überlegungen. Dass er neben der hier vorgestellten Essay-Sammlung noch Zeit für das Verfassen ganzer Bücher findet, zeigt unsere Rezension über das Buch „Die Geburt der Wissenschaft„.
Der Untertitel dieses Buches lautet „Es gibt Orte auf der Welt, an denen Regeln weniger wichtig sind als Freundlichkeit“ und dient somit gleich als Wegweiser für die Interpretation dieser Essay-Sammlung.
In der vorliegenden Essay-Sammlung geht er in jedem Beitrag einem bestimmten Thema nach, das entweder gerade in der Luft liegt oder das ihn beruflich interessiert. So finden sich allein drei Artikel über das astronomische Problem der Schwarzen Löcher, in denen er schließlich ganz neue – wenn auch spekulative – Ideen äußert. Dann wieder steht Albert Einstein im Mittelpunkt, den er zwar für den bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts hält, dem er aber nichtsdestotrotz eine ganze Reihe von Irrtümern und sogar Fehlern zuschreibt. Bewunderung darf nie in Unterwürfigkeit ausarten, sondern ist stets kritisch. Er holt Einstein damit ein wenig vom hohen Denkmal-Sockel, ohne ihn zu denunzieren. Dafür stellt er seinen Lesern andere große Naturwissenschaftler und Philosophen vor, die aus verschiedenen Gründen nicht so bekannt wie Einstein sind, weil sie „nur“ weniger umstürzende Erkenntnisse getroffen haben. Deshalb ist ihre Leistung für Rovelli jedoch keinesfalls geringer zu bewerten.
Oder er holt Aristoteles aus der unverdienten Ecke des wissenschaftlich Obsoleten und betont, dass auch dieser erste große Naturwissenschaftler nicht geirrt, sondern seine Erkenntnisse im Rahmen seines historischen Kontextes gewonnen habe. So wie Newton eine Untermenge des Einstein´schen Erkenntnisraums ausgelotet habe, sei auch Aristoteles durchaus in Newtons Raum unterwegs gewesen.
Die Philosophie bemüht Rovelli ebenfalls in dem ein oder anderen Beitrag, so wenn er den modernen Naturalismus eines Roger Penrose würdigt, der behauptet, dass auch die Metaphysik und vermeintlich utopische Ideen natürliche Bestandteile auch des erkennenden Menschen seien, der ja schließlich als Teil der Natur nicht außerhalb der Welt stehe. Als Astronaut mit so elementaren Themen wie Beginn und Ende des Universums steht Rovelli der Philosophie geradezu zwangsläufig nahe, und das spiegelt sich immer wieder in verschiedenen Beiträgen.
Dabei kann Rovelli jedoch richtiggehend – im positiven Sinne! – schlicht sein, wenn er dem Jesuskind vorwirft, ihm entgegen den Erzählungen seiner Eltern nicht die Weihnachtsgeschenke gebracht zu haben. Also habe er, Rovelli, noch etwas bei ihm gut und bitte ihn, endlich Krieg, Verfolgung und andere Formen menschlichen Leids zu beenden.
In all seinen Essays, auch den schwierigen naturwissenschaftlichen oder philosophischen, bemüht Rovelli sich um eine einfache und für normale Leser verständliche Schreibweise. Hochtrabende oder abgehobene akademische Sprache ist ihm fremd. Man kann dieses Buch also getrost auch Freunden schenken, die sich nicht im Dunstkreis dieser intellektuell anspruchsvollen Thematik bewegen.
Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 269 Seiten und kostet18 Euro.
Frank Raudszus
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