Der vollständige Untertitel dieses Buches lautet „Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“ und setzt damit bereits die inhaltlichen Grundpfeiler. Mc Whorter arbeitet als geisteswissenschaftlicher Professor an der Columbia University in New York und zählt sich selbst zu den „Schwarzen“, obwohl er laut Photo offensichtlich nur einen geringeren Teil dieser Herkunft für sich beanspruchen kann. In den Augen der (schwarzen) Antirassisten gehört er damit jedoch zu ihnen und unterliegt ihren Zuordnungen.
Sein Buch übernimmt jedoch nicht die Argumentation der angesagten Antirassisten und damit die Opferzuschreibung an alle Farbigen, sondern besetzt eine klare Gegenposition. Dabei wagt McWhorter eine Gratwanderung zwischen der Anerkennung eines tatsächlichen, virulenten Rassismus (in den USA), wie er sich etwa im Falle George Floyd zeigte, und der Kritik an einem fundamentalistischen, für keine Gegenargumente mehr empfänglichen antirassistischen Aktivismus. Dabei ist er sich der Tatsache bewusst, dass ihn letzterer, spätestens nach diesem Buch, als rechten „Häretiker“ beschimpfen wird.
Doch McWhorter geht dieses Risiko freiwillig und wohl auch gerne ein, da es ihm letztlich nicht um den Besitz einer wie immer gearteten „reinen Wahrheit“, sondern allein um bessere Lebensverhältnisse für die Schwarzen in den USA geht. Und die lassen sich seiner Ansicht nach nicht durch extreme fundamentalistische, die Welt in „Gute“ und „Böse“ unterteilende Ansichten, sondern nur durch pragmatische Maßnahmen erreichen.
Detailliert schildert McWhorter die Vertreter dieses neuen Antirassismus, die er als „Third Wave Antiracism“ bezeichnet, die aber auch „Social Justice Warriors“ oder „the woke mob“ genannt werden. Typische Vertreter dieser Bewegung sind für ihn Ta-Nehisi Coates, Ibrahim X. Kendi u.a., die den Rassismus auf eine neue, nicht mehr hinterfragbare Basis stellen. Dazu gehört auch die Critical Race Theory, die letztlich den Weißen einen grundsätzlichen, strukturellen Rassismus zuschreibt, den sie auch mit bestem Willen nicht ablegen können. McWhorter entlarvt diese Theorie als Immunisierungsstrategie und Grundlage einer permanenten Kampfsituation zwischen den Schwarzen und der White Supremacy, die eine andauernde und allgegenwärtige systematische Unterdrückung der Schwarzen durch die Weißen konstruiert.
Anhand verschiedener Beispiele zeigt McWhorter die Vorgehensweise dieser Bewegung gegen Kritiker auf. Ähnlich dem altbekannten Spruch der Linken: „Nicht der Inhalt sondern die Tatsache deiner Kritik an linken Positionen macht dich zum Reaktionär“ sind schon sachliche Einwände gegen bestimmte Rassismus-Theorien Anlass für durchorganisierte Shitstorms in den sozialen Medien, die bereits mehrere Male die Entlassung der Kritiker aus ihren jeweiligen Arbeitsverhältnissen zur Folge hatten. Ein besonders unrühmliches Beispiel sind dabei laut McWhorter die Universitäten, die selbst wissenschaftlich fundierter Kritik durch ihre Mitarbeiter keinerlei Rückendeckung gewähren, sondern sich überwiegend vor den antirassistischen Aktivisten wegducken.
Auch die inhärente Widersprüchlichkeit dieses fundamentalistischen Antirassismus legt McWhorter offen. Zum Beispiel gilt ein Weißer ohne farbige Freunde als Rassist, da er die Schwarzen offensichtlich(?) ausgrenzt. Im gegenteiligen Fall jedoch wirft man ihm Anbiederung bis hin zur – wiederum rassistischen – kulturellen Aneignung vor. Diese Unlogik setzte sich bei der Kleidung und generellem Habitus fort, wie wir vom „Dreadlocks“-Fall wissen. Diese Unlogik reicht soweit, dass die Antirassisten sogar generell Begriffe wie Logik, Fleiß, Selbstdisziplin und Wettbewerb als typisch „weiß“ und damit für die ureigene Kultur der Schwarzen als nicht zutreffend brandmarken.
Diese bewusste Verachtung jeglicher logischen Konsistenz führt McWhorter auf den Religionscharakter dieses neuen Antirassismus zurück. Die Religion beinhaltet eine absolute, nicht hinterfragbare Wahrheit, deren Befolgung ihre Verfechter jederzeit mit gnadenloser Konsequenz einfordern zu dürfen – ja: zu müssen! – glauben. Und wer glaubt, braucht nicht mehr zu argumentieren.
Warum aber, so fragt sich McWhorter, folgen auch weiße Aktivisten diesem Schema. Er führt dies auf den hohen moralischen Status der „Wahrheit“ zurück, den jeder, ob weiß oder schwarz, für sich in Anspruch nehmen möchte. Diese moralische Selbsterhöhung samt gutem Gewissen und Herabschauen auf alle „Nicht-Gläubigen“ befriedigt den weit verbreiteten Narzissmus in einem Maße, dass man nicht mehr auf sie verzichten möchte. Und da man sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt, darf man jegliche Art von Kritikern verfolgen und ächten. Dass so viele Weiße den Moralpredigten der Antirassisten folgen, führt McWhorter aber auch auf die Angst vor der öffentlichen Ächtung zurück.
Die Leidtragenden dieser Religion sind für McWhorter allein die Schwarzen, die damit als ewige Opfer gebrandmarkt sind und sich gar nicht aus dieser Rolle wegbewegen sollen. Denn von jeglichem Rassismus „befreite“ Schwarze benötigen die Antirassistischen Priester nicht mehr und können mit Weißen auf Augenhöhe verkehren. Bekehrte und geläuterte Weiße wiederum sind zudem keine niederen Feinde mehr sondern ebenfalls gleichwertige Partner. Ersteres ist daher zu vermeiden, um letzteres zu verhindern.
Doch McWhorter ist nicht Ankläger sondern Analyst, und in dieser Rolle bietet er auch praktische Anleitungen zur Auflösung dieser belastenden Situation an. Im Diskurs mit den Antirassisten schlägt er drei Maßnahmen vor: erstens sind herkömmliche Diskussionen auf der Basis von Logik und gesundem Menschenverstand mit Fundamentalisten sinnlos, wie er aus eigener Erfahrung weiß, und daher zu vermeiden. Zweitens ist grundsätzlich auf logische Konsistenz zu achten und diese nicht vermeintlichen moralischen Appellen zu opfern. Drittens soll man den Vor- und Anwürfen der Antirassisten selbstbewusst und deutlich antworten, statt sich aus Angst vor Ächtung wegzuducken.
Um den Schwarzen – und da vor allem der Jugend – sofort und zielgerichtet zu helfen, schlägt McWhorter ein Bündel von drei Maßnahmen vor: (a) Schluss mit dem Krieg gegen die Drogen, weil der Drogenhandel die Schwarzen in die Kriminalität treibt. (b) Den schwarzen Jugendlichen das richtige, sprich: „weiße“ Lesen ein damit gleichzeitig eine gewisse Lerndisziplin beibringen, damit sie Texte verstehen und interpretieren können. (c) Nicht jeder Schwarze (wie auch Weiße) muss – gar auch noch unter gesenkten Zugangsbedingungen – auf eine Hochschule gehen, da die Talente wie auch bei den Weißen unterschiedlich ausgeprägt sind. Ausbildung ist wichtig, aber die muss nicht universitär sein. Während die letzten beiden Punkte für sich sprechen, besteht bei dem ersten sicher noch Diskussionsbedarf.
McWhorter hat ein mutiges Buch gegen den intellektuellen Mainstream in den USA verfasst, das ihm bei der antirassistischen Zielgruppe sicher keine Sympathien eingebracht hat. Aber gerade das war auch nicht sein Ziel. Er wendet sich mit diesem Buch an alle, die noch einen gewissen Mut zur eigenständigen Meinung haben, sowie an die, die zwischen diesem Mut und der Angst vor Ächtung schwanken. Erstere lädt er ein, sich seiner Meinung öffentlich anzuschließen, und letzteren bahnt er mit seinen Ausführungen einen Weg zur intellektuellen Eigenständigkeit und Standhaftigkeit. Die Vertreter des hier so eindringlich beschriebenen Antirassismus erreicht er diskursiv sowieso nicht mehr.
Das Buch ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen, umfasst 256 Seiten und kostet 23 Euro.
Frank Raudszus
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