Kunstwerke waren seit dem Mittelalter eindeutig an Auftraggeber gebunden, wobei erst die Kirche und später die weltlichen Höfe eine dominierende Rolle gespielt hatten. Inhalt und Form der darstellenden Kunstwerke unterlagen den Wünschen und Weisungen der Auftraggeber. Mit der Aufklärung entstand dann das Ideal des nur sich und seinem Werk verantwortlichen Künstlers, das letztlich in den romantischen Geniekult mündete. Die Rezipienten, ob bloße Betrachter oder professionelle Kritiker, konnten mit ihren Interpretationen das Werk und damit letztlich den Autor inhaltlich bereichern, übernahmen damit jedoch keine Schöpferrolle.
Wolfgang Ullrich, selbst Kunstwissenschaftler, stellt in dem vorliegenden Buch nicht nur die These auf, dass die Kunst am Ende ihrer Autonomie angelangt ist, sondern diskutiert auch die gesellschaftlichen und künstlerischen Konsequenzen. Er führt seine These auf die Globalisierung und die damit zunehmende Vernetzung von Rezipienten untereinander und mit den Künstlern zurück. Dabei geht er zumindest unterschwellig davon aus, dass die „autonome“ Kunst ein Projekt der Eliten (gewesen) sei, was sich einerseits in dem materiellen Wert der Kunstwerke und andererseits in den intellektuellen Diskussionen über einzelne Kunstwerke und die Kunst an sich niederschlage. Zwar bemüht sich Ullrich von Anfang an, die Rolle eines objektiven Beobachters einzunehmen, der nur zwangsläufig ablaufende Prozesse beschreibt, aber es ist nicht zu übersehen, dass er die Herauslösung der Kunst aus ihrem elitären Umfeld und ihre Übergabe an bisher ausgeschlossene Rezipienten im Sinne einer allgemeinen Teilhabe für überfällig hält.
Dazu bemüht Ullrich ausgerechnet den Konsum, eine von linksliberalen Kreisen – und dazu darf man Ullrich wohl zählen – üblicherweise ausgesprochen kritisch gesehene Kategorie, dient er doch angeblich der Verblendung und Ruhigstellung des unterdrückten Proletariats. Auch wenn man heute nicht mehr vom Proletariat sondern von ausgegrenzten Minderheiten spricht, bleibt der Konsum ein Reizthema für alle revolutionären Gruppierungen. Doch Ullrich betrachtet ihn als ein legitimes Mittel der Teilhabe der bisher Ausgegrenzten, und die Kollaboration von Konsum-Labels – Sneakers und Ähnliches – und Künstlern bietet diese Möglichkeit. So können auch materiell schlechter gestellte Gruppen ein Stück „konfektionierter“ Kunst in Gestalt künstlerisch gestalteter Gebrauchsgüter erwerben und damit gleichzeitig an der zeitgenössischen Kunst partizipieren. Ullrich zeigt dies an einer ganzen Reihe entsprechender Kooperationen von Kunst und Kommerz, wobei er dem Konsum alle positiven Merkmale von Trost bis Lust zuschreibt.
Diese Entwicklung am „Kunstmarkt“ ist für ihn eine nicht aufzuhaltende Wanderungsbewegung vom autonomen, nicht privat verwertbaren, sondern nur anzubetenden Kunstwerk zum pragmatischen und sozialen Alltagsgegenstand, etwa wie eine Gehilfe für Ältere.
Natürlich sieht er Widerstand bei dem bisherigen Kunstpublikum, das seiner elitären Welt verlustig gehen würde. Doch diese sieht er ähnlich wie Marx die Kapitalisten, die sich seiner Meinung nach ebenfalls zwangsläufig selbst abschaffen würden. Was aus Marx´ Zwangsläufigkeit geworden ist, sehen wir an dieser von Marxisten seit Jahrzehnten verzweifelt als „Spätkapitalismus“ beschworenen Wirtschaftsform. Schwieriger wird es dagegen, wenn die Künstler selbst die Aufgabe ihrer Autonomie verweigern, denn Ullrich sieht wohl, dass dieses Selbstbild der Künstler ihr wichtigstes Überlebensmittel darstellt. Ihren Widerstand belegt er mit Begriffen wie monomanisch oder egozentrisch, wobei er diese Invektiven geschickt als mögliche Meinung Dritter tarnt. Aus dem Kontext ergibt sich jedoch eindeutig, dass diese Zuschreibungen aus seiner ureigenen Feder stammen, da eine grundsätzliche Ablehnung seiner These des Auslaufens der Autonomie die Zustimmung gerade der Künstler erfordert. Fast meint man Erlkönigs Spruch „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“ zu hören.
Nun sind Thesen im gesellschaftlichen, speziell dem kulturellen Bereich erst einmal nur Thesen, die bei weitem nicht die Deutungsmacht wie naturwissenschaftliche Gesetze aufweisen. Will sagen: jede These ist nur eine Behauptung, die sich auf die Dauer in der Realität erweisen muss. Da eine Falsifizierung im naturwissenschaftlichen Sinne ebenfalls nicht möglich ist, lässt sich eine solche These grundsätzlich nicht beweisen. Ullrich präsentiert seine Thesen jedoch – durchaus geschickt – so, als seien es gesicherte, nicht mehr hinterfragbare Tatsachen. Sollte sich die Realität samt Künstlern und elitärer Rezipientenschicht nach diesen Thesen entwickeln, hätte Ullrich Recht, wenn nicht……
Ullrich zeigt auch Beispiele nicht gelungener und gelungener Kunst in fremdem Kontext. So sind Ai Wei Weis Aktionen mit Schwimmwesten an Theater-Portalen für ihn misslungen, da dieser seinen Künstlerstatus nur benutze, um sein Aktivistendasein mit Bedeutung aufzuladen. Die „Kunstaktionen“ selbst weisen für Ullrich keine eigene Wertigkeit auf. Ähnliches gilt für andere Akteure auf diesem neuen Markt der „kombinierten Kunst“, die aktivistische Aktionen mit künstlerischen Fassaden oder gar nur Facetten versehen. Man kann Ullrichs Sicht auf diese Beispiele durchaus nachvollziehen, ebenso wie die Beispiele gelungener neuer Kunst, in denen Ullrich an Bildbeispielen zeigt, dass die jeweiligen Künstler jeweils malerische Mittel überzeugend mit emanzipatorischen Aussagen verbunden haben. Einschränkend ist dazu jedoch anzumerken, dass Ullrich dabei ausschließlich Werke betrachtet, die sich mit dem Rassismus-Thema beschäftigen, und innerhalb dieses Gebietes auch nur mit dem Kontrast „Weißer Westen gegen Afro-Amerika“. Es gibt sicher viele andere Kontexte, die emanzipatorische Kunst benötigten, doch die sind bei Ullrich nicht präsent. Das spricht zwar nicht gegen die konkreten Beispiele, aber auch nicht für die Weite des (kultur-)politischen Horizonts des Autors.
Man sollte dieses Buch als intellektuelle Anregung lesen, aber nicht als Quelle der letzten kulturpolitischen Weisheit. Vielleicht kommt es so, wie Ullrich denkt (und will), vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.
Das Buch ist im Wagenbach-Verlag erschienen, umfasst 187 Seiten und kostet 22 Euro.
Frank Raudszus
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