Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war nicht nur durch zwei mörderische Weltkriege, sondern auch durch eine vorher nie in diesem Maße vorhandene Dichte von hochbegabten Naturwissenschaftlern und deren Entdeckungen geprägt. Der Grund für diese Entwicklung wäre noch in einer entsprechenden Studie zu klären, mag aber als verzögerte Folge der Aufklärung und als unmittelbare der Industrialisierung zu deuten sein.
Zwei Persönlichkeiten aus diesem Kreis sind auch einer breiten Öffentlichkeit ohne Affinität zur Naturwissenschaft geläufig: Albert Einstein und Werner Heisenberg. Die Realität war auch dramaturgisch wieder einmal origineller als jeder Schriftsteller, denn diese beiden waren nicht nur Entdecker grundlegender Gesetze, sondern gleichzeitig Antipoden, die sich ein Vierteljahrhundert lang fachlich befehdeten. Außerdem besetzten beide unterschiedliche wenn nicht gegensätzliche politische Lager: der eine, Einstein, Jude und Pazifist, der andere, Heisenberg, unpolitischer Wissenschaftler mit einem bis heute nicht ganz geklärten Verhältnis zum Nationalsozialismus.
Tobias Hürter baut sein Buch denn auch auf dieser Dualität auf, vergisst aber nicht all die anderen naturwissenschaftlichen Größen dieser Zeit und widmet jedem von ihnen seine Aufmerksamkeit, wobei er vor allem die Interaktionen zwischen den Akteuren dieser Zeit beleuchtet. In seinem Buch geht es ihm in erster Linie um die handelnden Menschen und nicht um ihre Wissenschaft im Detail. Naturwissenschaftliche Populärliteratur, und um dieses Genre handelt es sich hier letztlich, ist stets mit dem Problem der fachlichen Tiefe konfrontiert. Die Wissenschaften haben sich soweit vom „gesunden Menschenverstand“ entfernt, dass der Autor nur zwischen Scylla und Charybdis wählen kann: geht er zu tief auf die wissenschaftlichen Grundlagen ein, verliert er das breite Publikum, beschreibt er nur die Menschen und ihr Verhalten, legen die Naturwissenschaftler das Buch zur Seite. Hürter versucht es mit einem Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen den Alternativen. Das gelingt zwar nicht immer, doch über weite Strecken entwirft er eine fesselnde und verständliche Darstellung dieser naturwissenschaftlichen Epoche.
Er beginnt – in einer Art Hommage – mit dem Ehepaar Curie, die sich als erste mit den Atomen beschäftigten und dabei noch gegen grundsätzliche Skepsis bezüglich dieser neuen Entität zu kämpfen hatten. Dabei ist ihm auch die damals schwierige Stellung der Frau in der – nicht nur naturwissenschaftlichen – Forschung wichtig, wobei er aber auf wohlfeile Anklagen des Nachgeborenen gegen das Patriarchat verzichtet. Werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Curies eher historisch zusammenfassend und mit dem Schwerpunkt auf den schwierigen Arbeitsbedingungen dargestellt, so ändert sich das mit dem Übergang zu Max Planck, der in Berlin an dem Schwarzkörperproblem arbeitet. In diesem Kapitel schildert Hürter den damaligen Stand der Physik, den Glauben, es sei soweit alles entdeckt und nur noch Feinarbeit zu tun, und die Skepsis gegenüber dem „Atom“. Geradezu spannend beschreibt er die Entwicklung der entsprechenden Formel bis hin zum berühmten „Planckschen Wirkungsquantum“. Damit setzt er auch gleich ein Thema dieses Buches: Den Gegensatz zwischen Theorie und Experiment, der sich schließlich in dem ironisch gemeinten „Genie-Erhaltungssatz“ verdichtete: Theoretiker seien miserable Experimentatoren und umgekehrt.
Erst im dritten Kapitel kommt er zu dem Genie des 20. Jahrhunderts: Albert Einstein. Seine eher bescheidene schulische und universitäre Entwicklung bis hin zum subalternen Patentbeamten kommt ausgiebig zur Sprache, die Essenz seiner – Speziellen und Allgemeinen – Relativitätstheorie kommt jedoch etwas zu kurz. Vielleicht ist die Komplexität eine Grund, und Hürter hat Bedenken gegen ein zu tiefes und letztlich mit dem Blick auf das Publikum nutzloses Eintauchen in dieses Thema gehabt. So beschränkt er sich mehr oder minder auf die berühmte Energieformel und die Erwähnung der Raumkrümmung unter Hinweis auf das Bettlaken-Bild. Doch Einsteins Position in der wissenschaftlichen Welt kommt sehr gut zum Ausdruck, vor allem die Tatsache, dass er sowohl den Nobelpreis als auch die internationale Anerkennung für andere Entdeckungen als die von vielen – damals! – als abgedreht empfundene Relativitätstheorie erhielt. Über mehrere Kapitel lässt Hürter Einstein auch als Privatmann – Beziehungen! – und Pazifist Revue passieren. Dabei stellt er ihm den Dänen Niels Bohr, der schon früh die Physik aus philosophischer Sicht betrachtete und hinter allem das große, einheitliche Gesetz suchte. Zwischendurch kommt auch der österreichische Kunstmaler aus Braunau ins Bild, um nicht den politischen Kontext dieser Zeit aus dem Blick zu verlieren.
Werner Heisenberg tritt – altersbedingt – erst nach achtzig Seiten auf und findet über die Platonlektüre zur Physik. Er ist erst noch Lernender vor der Phalanx von Bohr, Einstein und Planck, doch zeigt sich schnell seine hohe Begabung, und bereits im Alter von 25 Jahren definiert er die Theorie der „Quantensprünge“, die dem alten Gesetz der Physik, dass die „Natur keine Sprünge mache“, diametral widerspricht.
Hier beginnt die lebenslange Auseinandersetzung nicht zuletzt zwischen Heisenberg und Einstein über das Wesen der Physik. Einstein behauptet, der Wissenschaftler messe und berechne das, was objektiv ist, und dieses Objektive sei in sich kontinuierlich; Heisenberg beharrt darauf, dass die Natur im Kleinsten tatsächlich sprunghaft sei und letztlich nicht mehr messbar. Hürter schildert fast minutiös die schriftliche und auch mündliche Korrespondenz der Protagonisten, wobei anfangs noch Niels Bohr als Heisenbergs Mentor eine wesentliche Rolle spielt. In den kommenden Auseinandersetzungen, die übrigens stets zwar kontrovers aber gesittet ablaufen, übernimmt aber Heisenberg immer mehr die Führungsrolle auf der Seite der Quantentheoretiker.
Die Nationalsozialisten vertreiben schließlich Einstein – und andere Physiker – aus Deutschland, und der Zweite Weltkrieg bringt dann sowohl die internationale Kommunikation weitgehend zum Schweigen. Hier wird für Hürter Heisenbergs unklare Haltung zum Dritten Reich zum Thema. Zwar beansprucht Heisenberg später eine innere Emigration bis hin zum halbaktiven Widerstand in Form einer angeblichen Verzögerung der Atombomben-Entwicklung, aber diese Eigensicht hat sich wegen anderer Belege nicht durchgesetzt. Der Besuch Heisenbergs bei Bohr in Kopenhagen während des Krieges spielt dabei eine wesentliche Rolle, erhoffte Heisenberg doch offensichtlich Informationen über die Fortschritte der Amerikaner von Bohr.
Mit dem Kriegsende und dem Menetekel von Hiroshima endet dann nicht nur die internationale Auseinandersetzung über die Quantentheorie. Einstein ist in Princeton mehr geachtetes Faktotum als bewunderter Physiker, Heisenberg zwar nicht geächtet aber auch nicht mehr hoch geachtet, andere sind gestorben oder haben andere Probleme, wie etwa der geniale Wolfgang Pauli mit dem Alkohol und den Frauen.
So lässt Hürter diese Epoche ausklingen, nicht ohne anzumerken, dass Heisenbergs Quantenmechanik sich zwar durchgesetzt hat, aber die Suche nach der einheitlichen Feldtheorie bis heute anhält, denn kein Wissenschaftler kann es akzeptieren, dass zwei nicht nur inkompatible sondern geradezu sich widersprechende Theorien über die Natur existieren, die beide für sich im Experiment beweisbar sind, die eine im Großen, Kosmologischen, die andere im Kleinen, Atomaren. An der Zusammenführung dieser beiden Theorien arbeiten sich noch heute die Wissenschaftler ab.
Tobias Hürter hat diese Welt nicht nur kenntnisreich, sondern vor allem unterhaltsam und mit viel Gespür für die menschliche Komponente und den jeweiligen politischen Kontext beschrieben. Wer auch nur entfernt Interesse für die Welt der Naturwissenschaften verspürt, sollte sich dieses Buch zu Gemüte führen.
Es ist im Verlag Klett-Cotta erschienen, umfasst 398 Seiten und kostet 25 Euro.
Frank Raudszus
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