Revolutionen pflegen seit alters her die kulturellen Gebräuche der von ihnen gestürzten Systeme auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Für den Bereich der darstellenden Kunst lässt sich das für alle Revolutionen der letzten Jahrhunderte recht gut nachweisen, so auch für die Mutter aller Revolutionen, die Französische von 1789. Das davor herrschende Ancien Régime pflegte extensiv die ästhetischen Genüsse des Rokoko, dessen Name ein Akronym der Begriffe rocaille (Muschelwerk), coquille (Muschelschalen) und barocco (Barock) darstellt. Die überfeinerten, oftmals ins Mythische abhebenden Gemälde des Barocks galten fortan als dekadent und nicht mehr zeitgemäß.
Doch wie so oft, hatten die Künstler dieser Epoche ihren Stil zwar an den Wünschen der adligen Käuferschicht ausgerichtet, deshalb aber nicht unbedingt schlechte Kunst im ästhetischen Sinne erschaffen. Die Frage des historischen Stellenwerts einer Kunst aus den Händen politisch – zu Recht oder Unrecht – verfemter Künstler ist per se ein durchaus diskussionswürdiges Thema, das vielleicht einmal grundsätzlich bearbeitet werden sollte. Stichwort Nolde und Nationalsozialismus.
Aus dieser Perspektive erscheint es durchaus folgerichtig, dass die Epoche des Rokoko durchaus eine Renaissance erlebte, wenn auch in modifizierter Form. Das Städelmuseum weist nun diese Renaissance an den Werken Pierre-Auguste Renoirs nach, der gut ein halbes Jahrhundert nach der Französischen Revolution zur Welt kam und kurz nach der nächsten großen Revolution im Jahre 1919 starb. Renoir erlernte noch den Beruf des Porzellanmalers, der sich mit der Erstellung kleiner Genreszenen beschäftigte und schon dadurch eine innere Affinität zur Verfeinerung des Rokoko besaß.
Die Ausstellung „Renoir. Rococo Revival.“ geht der Frage der inneren Verwandtschaft zum Rokoko detailliert für jeden Gattungsbereich der Malerei nach. Es beginnt mit den idealisierten „Naturgesellschaften“ der Rokoko-Malerei, die gerne eine lustwandelnde Adelsgesellschaft in einer idyllischen Naturlandschaft zeigte und sich exemplarisch in Antoine Watteaus Gemälde „Einschiffung nach Kythera“ niederschlägt. Das losgelöst-verfeinerte Liebesspiel des Adels in einer mythischen Umgebung ohne jeglichen Überlebenskampf lenkte die zahlende Adelskundschaft von dem mörderischen Stellungskampf bei Hofe ab, der so gar nicht mythisch-idealistisch ablief und für viele mit dem sozialen Absturz endete. Diese Bilder versprühten eine heiß ersehnte Sorglosigkeit und Lebensfreude und entwickelten dabei raffinierte ästhetische Strategien. Renoir sah sich selbst als Vertreter dieser ausgefeilten Kunstrichtung und beweist damit die Erkenntnis, dass Künstler sich nicht unbedingt sklavisch an den jeweils gültigen Zeitgeist halten. Die Ausstellung stellt Watteaus „Kythera“-Bild denn auch Renoirs „La Grenouillère“ gegenüber, das ebenfalls eine Gesellschaft am Wasser und mit Booten zeigt, jetzt aber keine feinsinnigen Adligen in idealisierter Umgebung, sondern normale Bürger in einem Ausflugslokal.
Diesen paradigmatischen Unterschied weist die Ausstellung systematisch für jeden Bereich nach, sei es bei den Portraits, die Alltagsmenschen zeigen, sei es bei den Stillleben, die statt der Vergänglichkeitssymbole – Sanduhr und Fische – pralle Früchte und Blumen zeigten, sei es bei den Genre-Szenen, die eher Renoirs bekannten- und Freundeskreis im Alltag als idealisierte Beschäftigungen abbilden. Auch die Boudoirszenen zeigen jetzt nicht mehr den gesellschaftlich „gereinigten“ Lebensbereich adliger Damen sondern eher einfache Frauen beim Umziehen. Der weibliche Akt war weiterhin ein zentrales Thema, aber statt der Göttin Diana in einer griechischen Ideallandschaft sieht man jetzt junge Mädchen an einem See, die nichts Göttliches mehr an sich haben.
Die Landschaftsbilder Renoirs schließlich verzichten ebenfalls auf den hohen Ton überidealisierter Landschaften mit hohen Bergen, fernen Burgen und mächtigen Bäumen, sondern versuchen, durch spezielle Maltechniken den augenblicklichen Eindruck – die „Impression“ – einer durchaus unspektakulären Landschaft wiederzugeben.
Renoirs Bilder werden dabei in jedem der erwähnten Bereiche durch Werke eigener Zeitgenossen, aber vor allem des Rokokos flankiert. Darunter stehen Watteau, Fragonard und Boucher neben anderen für das Rokoko, Degas, Manet und Monet für Renoirs zeit, um nur einige zu nennen. So bietet diese Ausstellung nicht nur den Reiz des Vergleichs zwischen Impressionismus und Rokoko, sondern auch einen Querschnitt durch die jeweilige Epoche, aufgeteilt nach thematischen Bereichen.
Die Ausstellung ist bis zum 19. Juni 2022 geöffnet. Näheres ist der Webseite des Städelmuseums zu entnehmen.
Frank Raudszus
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