„The Winner takes it all“ ist ein durchaus tiefgründiger Spruch aus Sicht sowohl der Kapitalismuskritiker als auch der von ihnen kritisierten Zielgruppe. Und wo es übermächtige Gewinner gibt, stehen stets die jeweiligen Verlierer im Schatten. Diese Verlierer, denen rein gar nichts zu gelingen scheint, stehen im Mittelpunkt der Einmann-Show „Showtime“ des Staatstheaters Darmstadt, die am 6. März in den Kammerspielen Premiere feierte.
Leider begann die Premiere ganz zufällig(!) gleich mit einer Enttäuschung: Intendant Karsten Wiegand musste dem Publikum in einer improvisierten Einführung leider mitteilen, dass zwei weitere Mitwirkende krankheitsbedingt – Corona? – nicht auftreten könnten. Da man das Premierenpublikum jedoch nicht mehr rechtzeitig habe informieren können, habe sich Hauptdarsteller Hans-Christian Hegewald bereit erklärt, das Stück, allerdings mit spontaner Improvisation, alleine vorzutragen. Dieser darstellerische Heroismus kollidierte nur oberflächlich mit der Tatsache, dass das Programmheft keine weiteren Mitwirkenden ausweist. So blieb auch der Glaube an die Kraftanstrengung, das bereits aufgebaute Bühnenbild in letzter Minute abzuräumen, dem enttäuschten Publikum überlassen. Wie gesagt, die enttäuschende Ankündigungen des Intendanten zu dieser Premiere passten erstaunlich zufällig genau zum Thema des Stücks.
So stürzte denn Hauptdarsteller Hegewald auch ganz gehetzt auf die Bühne. Er sei ganz kurzfristig als Ersatz – für wen? – angereist und gerade erst eingetroffen; habe gar nicht genau gewusst, worum es gehe, und sich als professioneller „Allround-Schauspieler“ während der Anreise auf das Thema und den zu ersetzenden Hauptdarsteller vorbereitet. Ja wieso, war denn der auch erkrankt? Hatte der Intendant aber gar nichts von erzählt.
Hegewald wendet dann erst einmal alle Entertainer-Tricks zur emotionalen Gewinnung des Publikums an, wird mal persönlich bis kumpelhaft, dann wieder selbstlos idealistisch, zieht alle Register des nur seinem Beruf – nein: seiner Berufung – folgenden Schauspielers, der die hehren Grundsätze bereits mit der Muttermilch der Schauspielschule aufgesogen hat, die ihm allerdings nur die Begabung zum schmierigen Betrüger attestiert habe. Zwischen hochtrabendem Idealismus und demütiger Tiefstapelei schwankend, erzählt er vom bitteren Schicksal des Schauspielers, um dann nach und nach alle seine gescheiterten Pläne vor dem Publikum aufzublättern. Nach einer schauspielerischen Liebeswerbung beim Publikum mit Richard III. und Romeo gesteht er irgendwann, irgendwann in einer Aufführung als unbedeutender Knecht(!) zusammengebrochen zu sein, und endet mit diesem Geständnis in einer liegend inszenierten Depression. Die Erinnerungen an seine beruflichen und privaten – die Liebe! – Niederlagen, belasten ihn so sehr, dass er fluchtartig die Bühne verlässt. Halbdunkel, Vivaldis „Jahreszeiten“ – Drama!
Dann erscheint Hegewald im neuen Dress wieder und besieht sich das Scheitern aus Sisyphus´ Sicht, ohne diesen allerdings explizit als Vorbild zu benennen. Wenn auch der Stein immer wieder hinunter rollt, muss man ihn doch immer wieder hinauf stemmen. Scheitern ist keine Schande, Neuanfang alles. Allerdings verpackt Autor Felix Krakau diese Botschaft so realitätsnah und zeigefingerfrei, dass man sich keinen Augenblick lang an Studienräte der siebziger oder achtziger Jahre erinnert fühlt. Krakau spricht mit diesem Stück vor allem jüngere Menschen an, die voller hochfliegender Pläne ins Leben starten und sich nur an den Besten ihres jeweiligen Berufs oder Hobbys messen. Hegewald drückt es passend mit der Bemerkung aus, dass es eine Zeit gegeben habe, wo allen Wünsche und Ziele erfüllbar schienen – im Alter zwischen vier und zehn Jahren. Danach habe es nur noch Niederlagen gesetzt. Aber statt sich der Schwermut und Selbstmordgedanken zu überlassen, habe er sich entschlossen, weiterzumachen, weil so halt das Leben sei.
Der ganze Monolog dauert knapp eine Stunde, aufgelockert durch inszenierte Publikumsbefragungen sowie betont dynamische weil emotional aufgeladene Läufe durch Bühne und Hintergrund. Hegewald zieht alle Register des Schauspielerberufs bis hin zur Rampensau und hält das Publikum bis zur letzten Minute unter seiner Fuchtel. Seine scheinbar frustrierte Nabelschau ist nichts weiter als das Spiegelbild einer jungen Generation, die den Konflikt zwischen subjektiver Utopie und objektiver Realität erfährt und aushalten muss. In diesem Sinn eignet sich diese furiose Show vor allem – aber nicht nur – für Heranwachsende und Berufseinsteiger, die dem behütenden Elternhaus noch nicht ganz entwachsen sind und noch keine großen Lebenserfahrungen haben sammeln können.
Das Premierenpublikum zeigte sich nicht nur amüsiert, sondern zum Schluss auch begeistert und spendete kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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