Das Trio für Klavier Violine und Violoncello entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem wahren Schlager. Die zunehmend wohlhabenden bürgerlichen Haushalte verfügten meist über ein Klavier, und die Abwesenheit der heute üblichen Tonträger – oder gar des Internets – ließen die Hausmusik geradezu zu einer Notwendigkeit für musikbeflissene Bürger werden. Das Klavier verlieh dabei auch in der kleinen Trio-Besetzung der Musik die nötige klangliche Fülle und Vielfalt.
Im 6. Kammerkonzert traten drei Solisten auf, die wegen ihrer vielfältigen künstlerischen Verpflichtungen kein ständiges Trio mit einem eigenen Markenzeichen bilden, sondern sich von Fall zu Fall – auch mit anderen Musikern – für Aufführungen zusammenfinden. Den Israeli Vadim Gluzman (Violine), den Deutschen Johannes Moser (Violoncello) und den Russen Andrej Korobeinikov (Klavier) eint, dass sie sich neben dem üblichen Repertoire stark für die moderne Musik einsetzen. Letzteres bewiesen sie auch im 6. Kammerkonzert, indem sie neben einem Trio von Franz Schubert noch zwei Trios von Dmitri Schostakowitsch und ein kurzes Stück des Esten Arvo Pärt (*1935) interpretierten.
Im Gegensatz zu dem Brauch, ein Konzert mit einem eingängigen Stück zu beginnen, konfrontierten die drei Musiker das Publikum sofort mit dem 1923 entstandenen Trio Nr. 1 in C-Dur von Schostakowitsch. Das beginnt ganz leise und noch recht tonal mit wenigen, minimalistischen Figuren fast in Schubertscher Manier. Doch bald setzt sich die Harmonik des 20. Jahrhunderts durch, und die freie Metrik als Zeichen einer Musikauffassung, die sich nicht mehr in mehr oder minder starre Taktraster pressen lassen will, kommt hier deutlich zum Ausdruck. Expressive Pizzicati der Streicher wechseln sich mit lyrischen Passagen ab und lassen im Weiteren die Struktur des einsätzigen Stücks deutlich werden, die eben aus diesem Wechsel von Expressivität und Introvertiertheit besteht. Harte Brüche von Tempo und Dynamik und dissonante Reizklänge kontrastieren dabei auf geradezu provokante Weise mit den sich zwischendurch entwickelnden lyrischen Momenten. Schon hier zeigten die drei Musiker ein Höchstmaß an Einfühlsamkeit und Abstimmung und arbeiteten die Kontraste trotz aller schnellen Dynamikwechsel exakt und transparent heraus. Dabei spürte man ihre hohe Konzentration fast körperlich. Ihre Interpretation schuf dieses schwierige Werk spontan auf der Bühne und ließen es für die Zuhörer zu einem in sich geschlossenen und aussagestarken Musikerlebnis werden.
Franz Schuberts Trio Nr. 1 in B-Dur ist wohl eines der meistgespielten und beliebtesten Werke der klassischen Kammermusik, wobei wir den Begriff „klassisch“ hier nicht im engeren musikhistorischen Sinne verwenden. Angesichts der Länge sowie der thematischen und klanglichen Vielfalt kann man es durchaus als „Sinfonie für drei Musiker“ bezeichnen. Schon der erste Satz nimmt durch seine ausgiebige Durchführung fast sinfonische Ausmaße an. Dazu kommt, dass dieses Trio – wie auch eine Sinfonie – vier Sätze statt der üblichen drei für Kammermusik aufweist. Bei einer Sinfonie sorgen die verschiedenen Instrumentengruppen und vor allem der Dirigent dafür, dass die Spannung vor allem in den langsamen Sätzen nicht abreißt. Bei einem Trio jedoch sind die drei Musiker alleine für diese Aufgabe zuständig. Schon im ersten Satz überzeugten sie durch ihre zupackende, intensive Intonation sowie die bei aller Ausgewogenheit vor allem bei den Ritardandi und Fermaten hohe Dynamik. Der zweite Satz beeindruckte durch die fast jenseitige Intensität, mit der die Musiker die resignative Sehnsucht Schuberts zum Ausdruck brachten. Dagegen bot das Scherzo des dritten Satzes mit seiner streckenweise vertrackten Metrik fast so etwas wie Humor und Lebensfrische. Der Finalsatz schließlich war von markanten Crescendi und starken dynamischen Kontrasten geprägt. Die Musiker ließen das musikalische Temperament dieses Satzes mit viel Spielfreude voll zur Geltung kommen und bewahrten dabei in jedem Augenblick höchste Präzision und Transparenz.
Nach der Pause leitete das „Mozart-Adagio“ von ARvo Pärt den zweiten Teil ein. Hierbei handelt es sich um den langsamen Satz aus Mozarts Klaviersonate KV 280 in f-Moll, den Pärt sozusagen als Requiem für einen früh verstorbenen Freund für ein Klaviertrio umgearbeitet hat. Dabei übernehmen die Streichinstrumente die vom Klavier weitgehend originalgetreu vorgegebenen Themen und umspielen sie. Das Klavier selbst wandelt Mozarts Figuren vor allem zum Ende hin durch klangliche Einfärbungen ins Moderne ab. Dieses kleine musikalische Juwel war genau der richtige Wiedereinstieg nach der Pause und ging wegen des Trauercharakters nahtlos in Schostakowitschs Trio Nr. 2 in e-Moll über. Auch dieses ist in gewisser Weise eine Trauermusik für einen guten Freund und weist auch entsprechende Züge auf. Nach einem leise klagenden Beginn in den Streichern mit stark reduzierten Figuren in hohen Lagen entwickelt der erste Satz klanglich, harmonisch und thematisch deutlich modernere musikalische Eigenschaften als der Einakter zu Beginn. Der zweite Satz besteht weitgehend aus kurzen Figuren statt ausgeprägten Themen, und ein permanenter Aufruhr zieht sich durch den Satz. Der dritte Satz beginnt akkordisch im Klavier, dann kommen die beiden Streicher mit lyrischen Passagen dazu. Scharfe Pizzicati, an lebhafte Volkstänze erinnernde Passagen und wilde Steigerungen, all das in ostinater Form, prägen den Finalsatz.
Auch dieses Trio weist, wie das Schubertsche, in seiner Vielfalt und Dynamik sinfonische Züge auf. Es bot an diesem Abend einen zweiten Höhepunkt, der mit dem Schubert-Trio in jeder Hinsicht mithalten konnte. Die Musiker hielten en Spannungsbogen nicht nur bis zum Schluss aufrecht, sie schienen sich bei diesem Stück sogar noch einmal zu steigern und sich gegenseitig zu interpretatorischer Höchstleistung zu motivieren. Dieses Trio war kein eingängiger „Rausschmeißer“, sondern noch einmal ein strukturierter und auf höchstem Niveau in sich geschlossener musikalischer Höhepunkt. Schostakowitsch machte Schubert zwar nicht vergessen, aber er bewegte sich auf Augenhöhe mit ihm.
Wenn man Kammermusik auf diese Weise erfährt, erhält man einen Eindruck davon, was Musik, vor allem auch die moderne, bedeuten und leisten kann.
Das Publikum spendete begeisterten Beifall und erhielt noch eine musikalische feinsinnig-originelle Zugabe.
Frank Raudszus
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