Die deutsche Kulturlandschaft -speziell im musikalischen Bereich – beweist immer wieder aufs Neue ihre Stärke, und sei es „ex negativo“. Das für diesen Donnerstag anberaumte Kammerkonzert mit Fazil Say und Friedeman Eichhorn musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt werden. Dass man am Wochenende vor dem Termin noch einen Ersatz fand, ist nicht unbedingt überraschend, dass dieser „Ersatz“ jedoch der erwarteten Darbietung qualitativ in keiner Weise nachstand, darf man schon als ein Zeichen des allgemeinen Qualitätsniveaus interpretieren, falls nicht corona-bedingte Leerläufe dabei eine Rolle gespielt haben sollten.
Das Duo Lena Neudauer (Violine) und Herbert Schuch (Klavier) hatte in so kurzer Zeit natürlich nicht das ursprüngliche Repertoire parat – den musikalischen Dilettanten tröstet in solchen Fällen die Erkenntnis, dass auch Profis Stücke intensiv einüben müssen -, und so kamen sie mit einem eigenen Programm, das sich allerdings als außerordentlich abwechslungsreich und dabei intelligent aufgebaut erwies.
In beiden Programmhälften stand jeweils eine Beethoven-Sonate aus Opus 30 auf im Mittelpunkt, jeweils in enger Verbindung mit ebenfalls einem Stück des ungarischen Komponisten György Ligeti (1923-2006). Ergänzend dazu, aber etwas abgesetzt, erklangen je eine Sonate von Leos Janacek und Claude Debussy.
Ligetis Serie „Musica ricercata“ besteht aus elf kurzen Stücken mit steigender Zahl genutzter Töne. Das erste Stück besteht nur aus dem Ton A, der allerdings oktaviert, retardiert und sowohl metrisch-rhythmisch als auch dynamisch nach allen Regeln der Kunst variiert wird. Violine und Klavier lösen sich dabei ab, und die beiden Interpreten auf der Bühne zeigten, dass man bei entsprechender Intonation auch einem solchen, im wahrsten Sinne des Wortes eintönigen Stück Musikalität und Temperament verleihen kann.
Mit dem letzten, fast verklingenden Ton ging dieses kurze Stück fast unmerklich in Beethovens Sonate op. 30 Nr. 1 über. Das bot sich insofern an, als auch diese in A-Dur steht. Herbert Schuch und Lena Neudauer hätten dabei durch ihre Intonation bei des Programms unkundigen Zuhörern durchaus den Eindruck erwecken können, es handle sich um nur ein Stück. Damit zeigten sie – wohl bewusst – die innere Nähe der beiden Komponisten auf. Vor allem Beethovens späte Musik weist ja bereits auf die moderne Musik hin, aber auch in den mittleren Stücken schwingt stets eine gewisse Rebellion gegen die metrischen und harmonischen Konventionen seiner Zeit mit. So schafft auch diese Sonate bereits im ersten Satz einen mentalen Raum, der die gewohnte Komfortzone nicht nur erweitert, sondern verlässt und bei den Zuhörern ungewohnte Assoziationen und Emotionen weckt. Herbert Schuch bestach bereits im ersten Satz durch seine prägnante Artikulation jeder einzelnen musikalischen Figur einschließlich einer der Partnerin zugewandten Körpersprache. Diese glänzte durch eine ebenso klare wie intensive und feine Bogenführung. Gemeinsam malten sie den Satz förmlich aus. Im zweiten Satz erzeugten sie durch eine getragene aber intensive Intonation eine ganz eigene emotionale Welt, die sie erst mit dem abwechslungsreichen und weit ausgreifenden Variationen des Finalsatzes wieder verließen.
Die Sonate für Violine und Klavier von Leos Janacek, die in den Umbrüchen des Ersten Weltkriegs entstand, enthält ähnliche Elemente wie Beethovens Sonaten, ist jedoch angesichts der fortgeschrittenen musikalischen Entwicklung noch kompromissloser. Die „schöne“ Melodie verliert eindeutig gegen kurze, schroffe Figuren und abrupte Wechsel von Tempo und Intensität. Diese Sonate lässt sich durchaus als Metapher des tobenden Krieges verstehen, und das ungewohnte Adagio am Schluss vertonte die Hoffnung auf Frieden. Lena Neudauer und Herbert Schuch verdeutlichten diesen historischen Hintergrund mit einer kompromisslosen Gegenüberstellung der kontrastierenden Elemente und erweckten damit auch Janaceks Rebellentum zu neuem Leben.
Die zweite Hälfte begann mit Claude Debussys Sonate für Violine und Klavier, ebenfalls entstanden während des Ersten Weltkrieges. Auch dieses Stück ist geprägt von abrupten Wechseln der Dynamik und der Metrik . Nach einem stürmischen Beginn entführt es die Zuhörer, ähnlich wie Beethovens Musik, in nicht alltägliche Welten mit beunruhigenden emotionalen Assoziationen. Auch bei Debussy zeigt sich das Alleinstellungsmerkmal der Musik, mit tonalen Kombinationen aller Art direkt auf das geistig-emotionale Zentrum des Zuhörers einzuwirken. Das kennt man zwar auch von der trivialen Pop-Musik, aber die verlässt nie oder nur selten den mentalen Raum der Alltäglichkeit. Dagegen wandert Debussys Musik in Gegenden, die man mangels besserer Begriffe als Melancholie oder Transzendenz, aber auch – wie im letzten Satz – als verspielt oder gar grotesk bezeichnen kann. Die Besonderheit liegt bei der nicht ans rationale Wort gebundenen Musik gerade darin, dass sich die emotionale Wirkung nicht mit eindeutigen Begriffen beschreiben lässt.
Die zweite Folge aus Ligetis „Musica ricercata“ besteht aus zwei Tönen, A und D, doch dieses Mal werden diese beiden Töne nur vom Flügel in allen Variationen intoniert. Dazu hatte man durch das Dimmen des Lichtes für eine fast magische Stimmung auf der Bühne gesorgt, die Herbert Schuchs Vortrag mit fast düsterer Bedeutung auflud. Gegen Ende des kurzen Stücks betrat Lena Neudauer gemessenen Schritts die Bühne und gesellte sich ihrem Partner in feierlicher Form zu, bevor die beiden gemeinsam – wieder nahtlos – von Ligeti zu Beethoven wechselten. Die Sonate op. 30 Nr. 2, ebenfalls ein bekanntes Stück, bricht durch seine Viersätzigkeit zwar ebenfalls mit den Konventionen von Beethovens Zeit, bleibt aber im Finale noch beim „allegretto“. Der Aufbau erinnert mit de mittigen Adagio und Scherzo eher an eine Sinfonie, und genau genommen zeigt auch diese Komposition für zwei Instrumente sinfonische Züge, da beide Instrumente akkordische Tendenzen, reichen Tonumfang und deutliche dynamische Akzente aufweisen. Das fein Ziselierte tritt gegenüber dem Prägnanten zurück. Auch darin zeigt sich Beethovens ständige Reibung mit den Konventionen, dass er jede Musikgattung an und über ihre Grenzen führt, in diesem Fall die Sonate für zwei Instrumente an die Sinfonie. Lena Neudauer und Herbert Schuch wiesen das durch ihre markante und in jedem Detail aufeinander abgestimmte Interpretation auf beeindruckende Weise nach.
Der Beifall des – angesichts von 2G+ und Programmwechsel – in erstaunlich großer Zahl erschienenen Publikums fiel so kräftig aus, dass die beiden Musiker als Zugabe noch einen Satz aus Maurice Ravels 3. Sonate für Violine und Klavier spielten.
Frank Raudszus
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