Selbstreferentielle Abgründigkeit

Print Friendly, PDF & Email

Die ältere Generation kennt Gustav Gründgens nicht nur als unübertroffenen „Mephisto“ in Goethes „Faust“, sondern auch als renommierten und gut vernetzten Theater-Intendanten. Er begann seine Karriere als einfacher Schauspieler in einer Hamburger Provinzbühne – ja: Hamburg galt damals aus Berliner Kultursicht als Provinz. Dort lernte er Klaus Mann und dessen Schwester Erika kennen, die er bald darauf heiratete. Soviel zum Hintergrund des Romans und dessen Bühnenfassung.

Ensemble

Klaus Mann, selbst weniger berühmter Sohn eines berühmten Vaters, verfasste den Roman über den Schauspieler Hendrik Höfgen im Jahr 1936, nach Hitlers Machtergreifung und vor dem Zweiten Weltkrieg. Die verblüffende Ähnlichkeit mit den realen Vorgängen an dem Theater, das Klaus Manns Theaterstücke damals schon auf die Bühne brachte, erübrigt jede Frage nach dem Charakter eines Schlüsselromans. Im Roman ist Höfgens erster Schwiegervater ein einflussreicher Hofrat, im Leben Thomas Mann. Die beruflichen Stationen sowie die privaten Stärken und Schwächen ähneln so stark denen Gustav Gründgens´, dass man die Alliteration im Namen nicht als Argument heranzuziehen braucht.

Die Bühnenfassung von Claudia Bauer, die auch die Regie der Inszenierung verantwortet, lehnt sich eng an den Roman an. Die Handlung setzt 1936 bei einem großen Fest beim Ministerpräsidenten in Berlin ein, den man unschwer als Göring erkennt, und sogar Goebbels kalten Schrecken erregendes Erscheinen wird erwähnt. Diesen Part trägt das Ensemble in einer uniformartigen Kostümierung – Metapher für die Uniformierung des Dritten Reiches – in Form eines antiken Chores frontal zum Publikum vor, während auf einem historisierten Theatervorhang von eben diesem Ensemble gespielte Videosequenzen der Feier ablaufen. Mit der Rückblende in die zwanziger Jahre am Hamburger Theater beginnt auch die szenische Darstellung auf der Bühne. Die Video-Einspielungen begleiten die Inszenierung bis zum Schluss, stören aber das Bühnengeschehen wegen geschickter Dosierung und eleganter Übergänge zur Szenerie im Vordergrund nicht.

Christoph Pütthoff (maske) und Fridolin Sandmeyer (liegend)

Christoph Pütthoff spielt einen jungen Höfgen, der trotz oder gerade wegen seiner herkunftsbedingten Unsicherheit einen unbändigen Ehrgeiz entwickelt. Unablässig muss er sich mit anderen vergleichen und seine Vorzüge hervorheben; gerne stichelt er auch gegen vermeintliche Überschätzung seiner Kollegen. Den revolutionären Tiraden seines kommunistisch aktiven Kollegen und Freundes Otto Ulrich folgt er verbal bis hin zur Zusage eines gemeinsamen „revolutionären Theaters“, das natürlich immer Utopie blieben wird, schweigt aber gleichzeitig zu den völkischen und antijüdischen Ausfällen des Kollegen Miklas. Später wird er die beiden zwar nicht verraten, aber im entscheidenden Moment ihr tödliches Schicksal unter den Nazis auch schweigend hinnehmen. Seine Karriere geht ihm über alles, und so redet er sich sein eigenes Verhalten bei besonders opportunistischen Anlässen schön, indem er behauptet, das System durch scheinbare Teilnahme von innen aushöhlen zu wollen. Seinen politisch und rassisch belasteten Freunden legt er die Emigration nahe, aber weniger ihrem Wohl zuliebe als zwecks Vermeidung von eigener Verwicklung in deren Probleme.

Gründgens hatte vor und während seiner Ehe eine Geliebte. Regisseurin Bauer lässt diese Juliette von einem Mann (Mark Tumba) in weichem Pelz und hochhackigen Schuhen spielen, eine Anspielung auf Gründgens´ Homosexualität, die in dem Roman trotz allgemeinen Wissens darüber in der damaligen Theaterszene keine Rolle spielt. Und selbst die Neigung des realen Vorbilds zu SM-Spielen kommt in dieser Inszenierung nicht zu kurz.

Ensemble

Die satirischen Referenzen des Romans auf das Theater setzt Claudia Bauer konsequent in eine Reihe von selbstreferentiellen Szenen um. So beschwert sich der Schauspieler Miklas (Fridolin Sandmeyer) permanent und in weinerlichem Ton darüber, dass andere die auf ihn zugeschnittenen (Haupt-)Rollen spielen, junge Schauspielerinnen posieren zwecks Erregung von Aufmerksamkeit ständig neckisch mit ihren Körpern, und die Intendantin (Katharina Linder) des Provinztheaters denkt natürlich stets an die Zahlen. Einen Höhepunkt gleich zu Beginn liefert Anna Kubin ab: als die bekannte Schauspielerin Dora Martin mit überschaubarem Intellekt intoniert sie einen gut zehnminütigen Monolog in Gestalt eines „Rededurchfalls“ in unglaublicher Sprechgeschwindigkeit, die dennoch dank guter Artikulation eine gewisse, wegen des belanglosen Inhalts aber nicht unbedingt erforderliche Verständlichkeit beinhaltet. Diese „Show-Einlagen“ sind jedoch nicht Selbstzweck zur Unterhaltung des Publikums, sondern reflektieren immer wieder bestimmte Eigenarten des Kunstbetriebs, hier: Theater.

Dazu gehört auch die Sucht des Schauspielers nach Selbstdarstellung und Beachtung, die sich hier exemplarisch in der Figur des Hendrik Höfgen widerspiegelt. Wie jeder Mensch versucht er, ein stimmiges Selbst- und Fremdbild mit elementarer Integrität zu entwickeln, doch die Realität mit ihren Entscheidungszwängen kommt ihm immer wieder dazwischen – siehe kommunistische und nationalsozialistische Kollegen. So biegt er sich jede Situation selbst bei offensichtlicher Unstimmigkeit zu seinem Vorteil zurecht und wehrt sich aggressiv gegen die Unterstellung des Opportunismus. Seine Lippenbekenntnisse zum revolutionären Theater stilisiert er bei gegebener Gelegenheit als glaubwürdige Weltanschauung, seinen Aufstieg im Kulturbetrieb des Dritten Reiches bei anderer als stille Subversion, die halbherzige Unterstützung alter Freunde als Todesmut. Jeden berechtigten Vorwurf von Kollegen und Freunden kehrt er ins Gegenteil und richtet ihn aggressiv gegen die Urheber.

Chistoph Pütthoff in der Schlussszene

Am Ende hängt Höfgen wie eine Marionette der Macht an zwei nicht nur metaphorischen Drähten über dem Bühnenboden und bewegt sich zappelnd entsprechend den Signalen dieser Drähte. Dazu grinst ein überdimensionierter Totenschädel, und ein imaginärer „Prinz Hamlet“ (Fridolin Sandmeyer) spricht das Urteil über ihn als Künstler, Bürger und Mensch. Sebastian Kuschmann, der Göring in einem unförmigen Kostüm gibt und dazu noch einen anarchischen Theaterautor im Steinzeitkostüm spielt, spricht den Abgesang auf die Epoche, dessen apokalyptische Ahnung geradezu Schaudern macht, vor allem, da sie aus dem noch „harmlosen“ Jahr 1936 stammt.

Dem Schauspiel Frankfurt ist mit dieser Inszenierung die überzeugende Bühnenfassung eines wichtigen Romans des 20. Jahrhunderts gelungen. Wichtig nicht (nur) deswegen, weil einem Künstler wie Gustav Gründgens der Heiligenschein abgenommen wird. Wie bei allen Schlüsselromanen stellt sich auch hier die berechtigte Frage, inwieweit die kritische Figur des Hendrik Höfgen wirklich der realen Person Gustav Gründgens entspricht. Wie immer gilt erst einmal die Unschuldsvermutung, und viele Ereignisse und Handlungen im Dritten Reich unterhalb der strafrechtlichen Ebene sind heute sowieso nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen, geschweige denn moralisch zu be- oder verurteilen. So verlockend es ist, eine Berühmtheit vom Sockel zu stoßen, so wohlfeil ist es auch aus der Sicht der Nachgeborenen, vor allem, wenn diese moralisch selbstbefriedigende Handlung nur auf dem Roman eines einzelnen Zeitgenossen beruht. Es ist durchaus möglich, dass Höfgen Gründgens ist, aber nicht zwingend erwiesen. Betrachten wir Höfgen daher als metaphorischen Stellvertreter für einen Menschentyp, den es in allen Berufsgruppen gab und gibt.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar