In diesem Buch untersucht und – ja: seziert – der emeritierte Professor für Medienwissenschaften die bewussten und unbewussten Beweggründe der ökologischen Aktivisten von den Grünen über FFF bis zu „Extinction Rebellion“.
Seine Grundfeststellung lautet, dass die grüne Bewegung mittlerweile alle Anzeichen einer Religion angenommen hat. Seit dem „Tod Gottes“ (Nietzsche) habe in dieser Beziehung ein Vakuum geherrscht, das der Sozialismus des 20. Jahrhunderts nur unvollständig und mit desaströsem Ergebnis habe füllen können. Die moderne Welt sei durch stetig wachsende Komplexität geprägt, die den nach Einfachheit und Eindeutigkeit dürstenden Menschen überfordere. Kant habe die Menschen zwar aus ihrer „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ geholt, doch die Aufklärung mit ihren disruptiven Technologien und deren Folgen überfordere den Menschen und mache ihn einfachen Erklärungen mit deutlicher Kennzeichnung von Tätern und Opfern zugänglich. Statt der intellektuell zu banalen Dogmen der christlichen Religion hätten sich nicht geringe Teile der westlichen Gesellschaft einem neuen „Gaia“-Kult angeschlossen, in dem der Planet „Erde“ den Stellenwert eines nicht hinterfragbaren oder argumentativ erreichbaren Dogmas angenommen habe.
Die modernen (Natur-)Wissenschaften haben demnach aus der einst absoluten Gefahr ein auf komplexe mathematische Art berechnetes Risiko mit definierbarer Wahrscheinlichkeit gemacht. Diese – natürlich – wechselnden Eintrittswahrscheinlichkeiten seien für die menschliche Intuition nicht mehr nachvollziehbar und würden daher abgelehnt. Das selbst erlebbare Risiko, am Steuer des eigenen Autos umzukommen, werde klaglos akzeptiert, das um Dimensionen geringere „Restrisiko“ einer Kernkraftkatastrophe jedoch nicht.
Dass vor allem jüngere Menschen dem Dogma der kommenden Katastrophe anheimfallen, führt Bolz auf den Erziehungsstil der Wohlstandsgenerationen zurück, der die Kinder vor allen nur denkbaren Gefahren schützen wolle und sie dadurch zu Unselbständigkeit und sogar zu Narzissmus erzogen habe. Wer stets nur vor Gefahren gewarnt wurde, aber nie die kleinste persönlich erlebt habe, gerate bei der ersten drohenden Gefahr in Panik. Der größte Skandal ist für diese – zur Einzigartigkeit erzogenen – Generation laut Bolz jedoch die Ungleichheit. Da die ersehnte „Gleichheit“ in den westlichen – freien – Gesellschaften nicht herstellbar ist, hoffe diese Generation zumindest unbewusst auf die alle gleich machende Katastrophe.
Bolz sieht hierin einen der Gründe für eine zunehmende „Angstsucht“. Diese nährt sich seiner Meinung nach noch aus einer weiteren Quelle: der Langeweile. Da die Menschen der westlichen Welt in nie gekanntem Wohlstand lebten und vor fast allen Lebensrisiken durch Institutionen, Versicherungen und Technologie geschützt seien, fehle der evolutionär gewohnte äußere Reiz zur Selbsterhaltung. Wenn entsprechende endogene Anreize – Eigenmotivation, Ehrgeiz – fehlten, suche sich der Mensch die exogenen Gefahren selbst. Existenzielle Risiken wie der Klimawandel kämen dann gerade recht, um sich an einer endzeitlichen Katastrophe förmlich zu berauschen. Bolz zitiert darüber hinaus ökologische Endzeitfanatiker, die den lebenden Generationen den einzigartigen Vorteil der Teilnahme am Weltuntergang geradezu als Privileg schmackhaft machten.
Als weiteren Grund für die irrationale – weil alle rationalen Argumente angesichts der vermeintlich katastrophalen Lage zurückweisende – Klimaparanoia nicht nur der jüngeren Generation sieht Bolz das Schuldgefühl des europäischen Westens, der ja schließlich mit der Aufklärung auch die „bösen“ Technologien in die Welt gebracht habe. Die entsprechende Aufforderung zum Schuldeingeständnis und zur demütigen Buße erfülle zwei Zwecke: die eigene Entlastung sowie – über eben dieses Eingeständnis – die eigene moralische Erhöhung, und andererseits die moralische Verurteilung der restlichen westlichen Welt.
Bei aller Kritik an den (grünen) Öko-Aktivisten ist Bolz kein Klimaleugner. Er sieht dieses menschengemachte Problem durchaus in deutlicher Schärfe, fordert jedoch eine rationale, wissenschaftlich seriöse Herangehensweise. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch bestimmte Wissenschaftskreise, die bereit sind, eben diese wissenschaftliche Seriosität – sprich: das Abwägen – angesichts der „Dramatik“ der Situation zugunsten eines politisch-emotionalen Engagements zurückzustellen. So würden ungesicherte Hypothesen schnell zu ideologisch verwertbaren „Fakten“.
In diesem Zusammenhang kritisiert er auch die Infantilisierung der Gesellschaft, die den impulsiven „alles-oder-nichts“-Ansatz der aktivistischen Jugend nicht nur beklatsche, sondern ihn geradezu befeuere und Jugendliche zu Helden stilisiere, nur weil sie wegen ihrer irrationalen Radikalität nicht umsetzbare Forderungen in die Öffentlichkeit trügen. Diese Infantilisierung sei einerseits dem bereits erwähnten Erziehungsstil, andererseits der Angst der Erwachsenen, vor der Jugend als „Ewiggestrige“ dazustehen, geschuldet.
Norbert Bolz, der sich selbst ironisch wegen seiner Rationalität als solch einen „Ewiggestrigen“ sieht, bekennt sich in diesem Buch, das bei Öko-Aktivisten jeglicher Couleur sicher heftigen Widerspruch auslösen wird, uneingeschränkt zu den Werten der Aufklärung, da nur die Vernunft und das gründliche Abwägen in der heutigen (westlichen) Gesellschaft noch eine Basis für die Lösung auch schwerwiegender Probleme bietet. Alles andere führt schließlich zu der Katastrophe, die man eigentlich verhindern will.
Das Buch ist im Verlag Matthes & Seitz erschienen, umfasst 191 Seiten und kostet 9,95 Euro.
Frank Raudszus
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