Eigentlich sollte an diesem Abend Hélène Grimaud Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 (d-Moll) im Kurhaus Wiesbaden interpretieren. Doch Corona annullierte diese Planung durch eine Reisesperre. Glücklicherweise erklärte sich kurzfristig der Kanadier Jan Lisiecki bereit, einzuspringen, allerdings nur mit Beethovens 3. Klavierkonzert, das zwar auch in Moll steht, aber einen Ton tiefer als das Mozartsche Pendant. Letztlich war das alles andere als eine Notlösung, da erstens Jan Lisiecki als international renommierter Pianist mehr als nur ein „Ersatz“ ist und da zweitens Beethovens Konzert mindestens den gleichen musikästhetischen Stellenwert aufweist wie Mozarts, das bereits aus dessen Konzerten herausragt. Glücklicherweise konnte die Camerata Salzburg ohne Corona-Hürde auftreten und sicherte damit dank ihres internationalen Rufs auch auf der orchestralen Seite die Qualität.
Orchester und Solist verzichteten auf einen Dirigenten, und Jan Lisiecki übernahm die Aufgabe, dem Orchester durch Kopfnicken und Körpersprache sparsame Hinweise auf die Einsätze zu geben. Mehr war auch nicht nötig, denn das Zusammenspiel mit dem unter der Leitung von Gregory Ahss souverän und präzise agierenden Orchesters verlief perfekt. Das zeigte sich schon in den ersten Takten des Orchestervorspiels des Klavierkonzerts, die auch ohne dedizierten Dirigenten perfekt abgestimmt erklangen und damit vom ersten Augenblick an den Maßstab setzten, den das Konzert dann bis zum Schluss hielt.
Lisiecki glänzte nicht nur mit virtuoser Technik – was man fast schon als Selbstverständlichkeit nimmt -, sondern erhöhte auch die Spannung mit minimalen Verzögerungen der auflösenden Töne in verschiedenen musikalischen Figuren. Diese Agogik steigert unvermittelt die Spannung und Aufmerksamkeit des Publikums, weil die Hörgewohnheiten bei Kennern den Ton zu einer bestimmten Zeit erwarten, diese Erwartungshaltung jedoch minimal auf die Folter gespannt wird. Das macht die Interpretation aus, die Töne nicht nach den vorgegebenen Notenwerten und Taktbezeichnungen zu spielen, sondern mit minimalen eigenen Zeit- und Betonungswerten. Denn neben der – taktinternen – Metrik spielt auch die Intensität eine wesentliche Rolle, und Beethoven zu spielen muss nicht immer mit Prankenhieben assoziiert werden. Lisiecki ging mit dem „forte“ denn auch sehr bewusst um und setzte es, wo erforderlich, auch kompromisslos um, fand aber für Beethovens Musik auch andere, bisweilen sogar fast melancholisch anmutende Ausdruckswerte. Schließlich ist das „Dritte“ auch das einzige Moll-Konzert Beethovens für das Klavier, und die Wahl der Tonart war für Beethoven stets Programm – siehe die „Fünfte“.
Seine nicht nur technischen sondern vor allem interpretatorischen Fähigkeiten zeigte Lisiecki dann in der Kadenz des ersten Satzes, die Ausdrucksstärke mit musikalischer Souveränität verband. Dem zweiten Satz verlieh er trotz des getragenen Tempos durch individuelle Gestaltung musikalischer Figuren eine ausgeprägte Ausdrucksstärke, ohne deswegen aus Beethovens Stück ein eigenes machen zu wollen. Den dritten Satz schloss er – ein eher seltenes Vorgehen – „attacca“ an den zweiten an und trug ihn als ein trotziges Aufbegehren vor, das in das revolutionär anmutende Pathos der Schlussakkorde mündete.
Als Zugabe setzte Lisiecki mit zwei Chopin-Nocturnes ganz bewusst einen – romantischen – Kontrast zu Beethoven, denn den Schlussakkord des Konzerts mit einem energischem Virtuosenstück zu übertönen, wäre wohl unpassend gewesen.
Die Camerata Salzburg stand Lisiecki als Partner auf Augenhöhe zur Seite und schuf einen orchestralen Rahmen, der das Klavier nicht nur begleitete, sondern eigene Akzente bei Dynamik und Phrasierung setzte. Präzision und Transparenz der Stimmen sind auf diesem Niveau zwar fast schon eine Selbstverständlichkeit, sollten aber noch einmal hervorgehoben werden.
Diese Qualitäten kamen auch im zweiten Programmpunkt zum Tragen, Mozarts „Linzer“ Sinfonie, KV 425. Im ersten Satz beeindruckte neben der Präzision vor allem die Leichtigkeit des Spiels, im zweiten die sorgfältige Herausarbeitung der einzelnen musikalischen Figuren. Das Orchester spielte hier nicht nur einen langsamen Satz, sondern akzentuierte ihn. Dafür kam das Scherzo des dritten Satzes recht lebhaft, fast schon lebensfroh daher und ließ einen Schimmer von Mozarts Humor erkennen. Das Finale präsntierte sich dann als ein echter „Rausschmeißer“, mit viel Dynamik und Tempo, aber ohne Einschränkung der Transparenz.
Das Publikum zeigte sich zu Recht angetan und spendete ausgiebigen Beifall. Man merkte, dass die Musikfreunde lange hatten darben müssen und einen solchen Abend raumfüllender Qualitätsmusik in vollen Zügen genossen.
Frank Raudszus
No comments yet.