„Eurotrash“ ist der Titel des neuen Romans von Christian Kracht. Dieser Titel ist eine Herausforderung und lässt die Leserin erst einmal bei Wikipedia nachschauen. Dort heißt es: „Eurotrash …. ist ein englischer, in den Vereinigten Staaten von Amerika entstandener, zumeist abfälliger … Begriff. Er dient dazu, den Lebensstil, das Verhalten oder die Anmutung von Europäern oder die Europäer selbst stereotypisch zu beschreiben, insbesondere wenn sie in den Augen des jeweils Urteilenden einer für das Europäertum angeblich typischen Affektiertheit entsprechen bzw. diese zur Schau tragen.“
Was hat das nun mit dem Thema des Romans zu tun? Es geht um Dekadenz, festgemacht an der zu Reichtum gekommenen Familie des Erzählers, deren „Talfahrt“ sich „als Landkarte“ im Gesicht der 80-jährigen Mutter widerspiegelt.
Christian Kracht ist Autor und Erzähler zugleich, er begibt sich damit auf die Ebene der Autofiktion, in der reales Leben mit Fiktion so verknüpft wird, dass beide Ebenen nicht mehr voneinander zu trennen sind. Die Verwendung realer Namen und tatsächlicher Lebensumstände zielen u.a. auf die Begierde der Leserinnen und Leser, etwas hinter die Kulissen einer Welt sehen zu können, der sie in ihrer eigenen Realität nicht nahe kommen können.
Der Erzähler Christian Kracht junior führt uns in die Welt des verstorbenen Vaters Christian Kracht senior, der einen beispiellosen Aufstieg in der Medienwelt vollbringt und als enger Berater von Axel Springer ein Leben in den oberen Etagen von Politik, Wirtschaft und Kultur führt. Christian Kracht junior entlarvt diesen Vater als einen Meister der inszenierten Selbstdarstellung und Hochstapelei in der Welt des großen Geldes, der jedoch die geheimen Codes der schon über Generationen Schönen und Reichen nicht durchschaut und so als Parvenü aus der Provinz erkennbar bleibt, als typischer Vertreter des hässlichen Deutschen. „Eurotrash“ kann man sich als Urteil der Reichen und Schönen über ihn vorstellen.
Der Sohn verachtet diese Welt und die eigene Familie, in der die Ästhetisierung der eigenen Lebenswelt oberste Priorität hat, in der Geld keine Rolle spielt. Gleichzeitig ist es eine Welt, in der alles Problematische ausgeklammert und verschwiegen wird, insbesondere die Verstrickungen der Familie in Nazi-Deutschland.
Die abgehobene Welt des Vaters unterscheidet sich radikal von der Welt der Mutter, die schon früh von ihm geschieden wurde. Materiell ist sie über alle Maßen gut gestellt, so dass sie im wörtlichen Sinne mit Geld – es sind Schweizer Franken – um sich werfen kann.
Der 35-jährige Erzähler Christian macht einen seiner alle zwei Monate fälligen Routinebesuche bei der inzwischen 80-jährigen Mutter, die alkohol- und tablettenabhängig ist. Sie lebt völlig verwahrlost in einer Luxuswohnung in Zürich, nachdem der Sohn sie aus einer lebensunwürdigen Psychiatrie herausgeholt hat.
Das Treffen entwickelt sich zu einer neuen Begegnung zwischen Mutter und Sohn, bei der alle Masken fallen. Die beiden begeben sich auf einen Road-Trip durch die Schweiz, auf dem sie seltsame und überraschende Erfahrungen machen und alte Erinnerungsorte aufsuchen, die sie eigentlich gar nicht mehr sehen wollen. Geld spielt auf dieser Reise keine Rolle. Da es ohnehin unrechtmäßig erworben ist, kann man es eigentlich nur herausschmeißen, verschenken, vom Winde verwehen lassen. Auch das ist Eurotrash. Es ist eine Fahrt des Ankommens und wieder Aufbrechens, des Ziele-Suchens und Flüchtens. Bei all dem Chaos erkennen sie sich zum ersten Mal, sprechen über Vergangenheit, über Kindheit, über Träume und Lebensillusionen.
Dabei wird die Mutter für den Sohn immer ambivalenter: Ist sie eine Verrückte und versoffene Alte, die nur noch Unsinn redet und mit Bildungsfloskeln um sich wirft, ohne die Bücher, aus denen sie zitiert, jemals gelesen zu haben? Oder ist sie eine altersweise Frau, die dem Sohn knallhart seine Unfähigkeit vorhält, seine Romane knallhart zerreißt und ihn mit Lebensweisheiten füttert, von denen er keine Ahnung hat? Die „Talfahrt“ der Mutter endet in eben der Psychiatrie, aus der der Sohn sie zuvor herausgeholt hat. Er wirft das Handtuch, selbst unfähig, tatkräftig in das Leben dieser Mutter einzugreifen.
So wird er selbst ein Teil dieses dekadenten Lebensstils, den er nicht ohne Selbstironie beschreibt. Auch er hat die verschiedensten Formen alberner Selbstinszenierung hinter sich. Die Sehnsucht nach einer authentischen Existenz versucht er im Schreiben zu realisieren. Ob ihm das gelingen wird, bleibt offen.
Eins ist sicher: Der Autor Kracht kann schreiben, das Buch liest sich fast in einem Rutsch, es ist unterhaltsam, zum Teil geradezu skurril und auch nicht ohne Witz. Aber hier liegt auch gleichzeitig die Fragwürdigkeit dieses Romans. Er liest sich allzu leicht, das Thema „Dekadenz“ wird nicht weiter vertieft, die Elternfiguren bleiben oberflächlich. Was tatsächlich hinter der Verwahrlosung der Mutter steckt, wird nicht reflektiert. Der längst verstorbene Vaters wird in seiner Problematik nicht weiter erforscht. Es scheint, dass der Sohn – und der Autor? – sich nicht entscheiden kann, ob er den Vater für sein elegantes, nach außen erfolgreiches Leben nur verachten oder vielleicht doch auch etwas bewundern soll. Diese Vaterfigur schwebt auch nach ihrem Tod immer noch über dem Leben des Sohnes, der sich aus der Aura des Vaters nicht wirklich befreien kann.
Aber warum muss ich das lesen? Neues erfahre ich kaum, wenn ich jetzt auch weiß, was mit „reverse snobbery“ gemeint ist. Ein großer Erkenntnisgewinn ist das jedoch nicht.
Wenn man sich gut unterhalten will und vielleicht etwas über die möglicherweise eigene dekadente Lebensführung nachsinnen will, ist das Buch dennoch durchaus eine Empfehlung wert.
Das Buch ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, es hat 210 Seiten und kostet 22 Euro.
Elke Trost
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