„Totope, März 1459 – In der längsten Nacht des Jahres klebte Blut an meiner Stirn, und mein Baby starb.“
So beginnt Sharon Otoos Roman „Adas Raum“, Geburt und Tod in einem Satz. Damit steigt Otoo ein in das Thema ihres Romans: die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau in den letzten 500 Jahren bis in die Gegenwart.
Ada gibt es 1459 in Ghana, 1848 in England, 1945 im KZ in Kohnstein bei Nordhausen und 2019 als schwarze Studentin aus Ghana in Berlin.
Alle Adas in den verschiedenen Jahrhunderten sind der Beherrschung, Ausbeutung und Unterdrückung durch den weißen Mann ausgesetzt.
Den Siegeszug des „zivilisierten“ weißen Mannes über die Frauen macht Otoo fest an dem Weg eines kostbaren Goldperlenarmbands, das 1459 in Ghana geraubt wird. Es gelangt ins gutbürgerliche England des 19. Jahrhunderts, wo es Ada als Geschenk von ihrem Ehemann erhält. Diese Ada versetzt es in einem Pfandhaus. 1945 taucht es als Besitz eines KZ-Offiziers auf, der es wiederum der heimlich geliebten KZ-Insassin schenkt. 2019 taucht es im Katalog eines Museums in Berlin auf, Raubkunst als scheinbar unschuldiges Schmuckstück. Tatsächlich ist es ein Symbol für Unglück und Tod, aber das weiß niemand mehr.
Sharon Otoos Erzählung beginnt in einer kleinen Frauen-Gemeinschaft in Ghana. Hier sind alle Frauen die Mütter aller Kinder. Die Frauen leben ihren Alltag und bestimmen ihre Regeln völlig autark. Männer sind unsichtbar, offenbar nur als Erzeuger wichtig. In dieser aus europäischer Sicht „Gemeinschaft von Wilden“ leben die Menschen wahrhaft zivilisiert zusammen, getragen von Liebe und Wärme, aber auch mit Strafen für Regelverstöße. Die Erfahrung von Krankheit und Tod gehört dazu. Auch der Tod eines Neugeborenen wird als natürliches Ereignis hingenommen, denn jede leidvolle Erfahrung wird von der Gemeinschaft aufgefangen.
Erst das Eindringen des weißen Eroberers zerstört diese Welt. Er bringt Raub, Verschleppung und Tod. Er nennt das „Zivilisation“.
Die Ada im gutbürgerlichen England im 19. Jahrhundert hat dieses Umfeld nicht. Sie ist allein, den Launen des Ehemannes wie des Geliebten ausgesetzt, kann nur heimlich eigene Wege gehen. Diese Ada ist dem Vorbild von Ada Lovelace nachempfunden, die als geniale Mathematikerin die erste „analytical machine“ erfand, also eine Vordenkerin des modernen Computers war. Wie die historische Ada kann auch die Roman-Ada ihre mathematischen Erkenntnisse nicht öffentlich umsetzen, gebremst von den Männern, die sie umgeben. Als Schmuckstück und Eigentum des Mannes erleidet sie einen gewaltsamen Tod.
Die Ada von 1945 landet nach einer Denunziation als jüdische Polin im KZ, dem Ort der denkbar schlimmsten Entstellung der „Zivilisation“. Hier werden die jungen Frauen als Anstalts-Prosituierte ausgebeutet. Dennoch erhalten sich die Frauen einen Rest an Menschlichkeit und Solidarität angesichts des erlebten Ekels, der Erniedrigung und Gewalt. Aber auch diese Ada wird Opfer der willkürlichen männlichen Zerstörungswut.
Das alles klingt sehr hoffnungslos. Auch der Blick auf die moderne Ada, die 2019 als schwarze Studentin aus Ghana nach Berlin kommt, verspricht zunächst wenig Positives. Sie wird vom Vater ihres Kindes verlassen, sie erfährt Diskriminierung, auch mit der Solidarität der weißen Halbschwester ist es nicht weit her.
Dennoch gibt es Hoffnung: Es gibt Menschen, die sich kümmern, es gibt Ausblicke in eine Zukunft, in der es anders sein könnte.
Im Epilog schließt sich der Kreis zum Beginn des Romans. Die neue Ada gebiert ihr Kind in Berlin, nun aber mit anderen Vorzeichen: „In der längsten Nacht des Jahres klebte Blut an meiner Stirn, und mein Baby atmete. Endlich! Meine kleine Prinzessin, meine Zukunft!“
Sharon Otoo macht es uns Leserinnen nicht leicht, dem Gang durch die Jahrhunderte zu folgen. Sie erzählt in „Schleifen“, d.h. sie durchstreift die Lebenssituationen ihrer Adas aus den unterschiedlichsten Perspektiven. So erzählen zum einen die Adas selbst mit einer eigentümlich distanzierten Sicht auf das, was ihnen widerfährt, als wollten sie sich selbst schützen. Zum anderen relativiert Otoo mit einem neutralen Blick von außen diese Selbstwahrnehmungen. Dabei greift sie zu einem raffinierten Trick: Sie lässt die Dinge erzählen, die miterleben, was den Adas passiert: in Ghana ist es der Besen, mit dem Ada von einer der Mütter bestraft wird; in England ist es der Türknopf der Villa, in der Ada lebt; im KZ Kohnstein ist es der „Raum 37“, in dem Ada den Sexdienst leisten muss.
Diese Außensicht analysiert unverblümt, wie Gewalt über die Frauen ausgeübt wird, da gibt es keine Beschönigung mehr. In Berlin schließlich sind es ein weiblicher Gott und ein Wind, die auf einer Suche nach einer neuen Ada sind. Sie begleiten diese junge Ada auf ihrer Suche nach einer eigenen Wohnung. Diese Suche erleben wir auch aus Adas eigener Sicht. Hier schließt sich ein weiterer Kreis, den nur die Leserin, nicht Ada erkennen kann. Einer der potenziellen Vermieter hat sich in eben dem KZ schuldig gemacht, in dem die andere Ada umgekommen ist.
Die Raffinesse des Romans liegt in der Verquickung der verschiedenen Perspektiven, der zeitlichen und räumlichen Ebenen. Nur die Leserinnen können die Zusammenhänge erkennen, die jeweilige Ada kann nur ihr je eigenes Erleben überblicken.
Die Leserinnen des 21.Jahrhunderts werden sich fragen, ob wir wirklich weiter sind als 1459, 1848 oder 1945. Sicher haben wir als Frauen schon viel erreicht, aber auch die moderne Ada muss gegen Widerstände ankämpfen, darf den Mut nicht aufgeben, muss sich solidarisieren. Für die afrikanische Ada gilt darüber hinaus, bei aller Orientierung in der neuen Welt die afrikanischen Wurzeln und ihre Identität zu bewahren.
Uns Leserinnen nimmt Otoo über weite Strecken mit in ihre afrikanische Welt des Denkens, Fühlens und Kommunizierens. Da gibt es für uns Weiße viel zu lernen.
Insgesamt ist „Adas Raum“ ein Roman, der mich als Leserin nicht losgelassen hat. Vieles erschließt sich erst bei der zweiten Lektüre.
Besonders bemerkenswert ist, dass Sharon Otoo diesen Roman auf Deutsch geschrieben hat, obwohl sie erst seit 13 Jahren Deutsch spricht. Da hätte dem Verlag ein sorgfältigeres Lektorat gut angestanden. Überflüssige Druckfehler, die bisweilen beim Lesen irritieren, hätten so vermieden werden können.
Das Buch ist im S. Fischer Verlag erschienen, hat 317 Seiten und kostet 22 Euro.
Elke Trost
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